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Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima

Titel: Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Rußland«, schob Brunetti nach.
    »Ist er zurückgekommen?« fragte der Alte. Er sprach einen so breiten Castello-Dialekt, daß Nicht-Venezianer ihn vermutlich gar nicht verstanden hätten.
    »Ja.«
    »Gut. Mein Bruder ist nicht wiedergekommen. Den haben die Alliierten verraten. Wie uns alle. Sogar den König haben sie reingelegt und ihn zur Kapitulation überredet. Wenn er nicht umgefallen wäre, wenn wir weitergekämpft hätten, dann hätten wir den Krieg gewonnen.« Und nach einem Blick in die Runde setzte er hinzu: »Hier weiß man das wenigstens noch.«
    »Und ob«, bekräftigte Brunetti, eingedenk Vianellos Vermutung über die wahren Zwecke der Bibliothek. »Und wenn wir gewonnen hätten, dann wäre es heute besser um unser Land bestellt.« Er legte alle Überzeugungskraft, die ihm zu Gebote stand, in seine Stimme.
    »Wir hatten noch Disziplin«, sagte der Alte.
    »Und Ordnung«, kam das Echo von dem Mann am Tisch, ebenfalls im Dialekt.
    »Das dumme Mädel verstand nichts von diesen Dingen«, sagte Brunetti voll Verachtung. »Hat immer nur gelästert über die Vergangenheit und den Duce und war dafür, daß wir all diese Immigranten aufnehmen sollten, die von weiß Gott woher ins Land drängen und uns die Arbeitsplätze wegnehmen. Wenn das so weitergeht, haben die uns bald überall rausgedrängt.« Er machte sich nicht die Mühe, logisch zu argumentieren: Klischees und Vorurteile würden genügen.
    Der Mann neben ihm schnaubte zustimmend.
    »Ich weiß nicht, warum er sie hier arbeiten ließ.« Brunetti deutete mit dem Kopf auf die Tür zu Fords Büro. »Sie war völlig fehl...«, begann er, aber der Mann am Tisch fiel ihm ms Wort.
    »Sie wissen doch, wie er ist«, sagte der Alte mit einem schmierigen Grinsen. »Er brauchte bloß ihre Titten zu sehen, und schon verlor er den Kopf. Hat sie mit den Augen verschlungen, genau wie die davor. Der hat er ja auch lange genug auf die Titten gestarrt, bis seine Frau sie dann rausgeschmissen hat.«
    »Weiß der Himmel, was sie in seinem Büro getrieben haben«, sagte der an der Vitrine, und seine gepreßte Stimme verriet allerhand heimliche Phantasien.
    »Bloß gut, daß seine Frau die letzte auch durchschaut hat.« Brunetti klang spürbar erleichtert: Wieder einmal hatte die Unantastbarkeit der Familie über die Versuchung durch unmoralische junge Frauenspersonen gesiegt.
    »Hat sie?« fragte neugierig der am Tisch.
    »Sicher doch. Sie hätten sehen sollen, wie sie die Kleine angestarrt hat mit ihren engen Jeans über diesem prallen Hintern«, erklärte der andere.
    »Ich weiß, was ich mit dem Hintern gemacht hätte.« Der Alte nahm die Hände vom Tisch und bewegte sie im Schritt auf und ab, was witzig gemeint war, auf Brunetti aber nur obszön wirkte. Er dachte an Claudia und hoffte, sie würde ihm und diesen traurigen alten Narren verzeihen, daß sie so frevelhaft auf ihr Grab spuckten.
    »Ach, der Direktor, ist er da?« fragte Brunetti so überstürzt, als hätte er über dieser faszinierenden Unterhaltung ganz den Grund seines Besuches vergessen.
    Beide nickten. Der am Tisch brachte seine Hände wieder zum Vorschein, stützte den Kopf darauf und beugte sich, da er die Aufmerksamkeit seines Publikums offenbar verloren hatte, erneut über die Seiten seines Buches.
    Brunetti bedeutete Vianello mit einer raschen Geste, er möge im Lesesaal bleiben; dann ging er zum Eingang von Fords Büro. Er klopfte, und von drinnen rief eine Stimme: »Avanti. «
    Brunetti machte die Tür auf und trat ein.
    »Ah, Commissario«, sagte Ford und erhob sich. »Wie nett, Sie wiederzusehen.« Er kam näher und streckte seine Hand aus, die Brunetti lächelnd ergriff. »Sind Sie Claudias Mörder inzwischen auf der Spur?« fragte Ford.
    »Ich glaube, ich bin nahe an dem dran, der für ihren Tod verantwortlich ist, aber das ist nicht dasselbe, wie ihren Mörder zu kennen.« Brunetti erschrak selbst vor der philosophischen Gelassenheit, mit der er das sagte.
    Ford zog seine Hand zurück. »Was meinen Sie damit?«
    »Was ich gesagt habe, Signore: Der Grund für ihren Tod ist nicht schwer zu finden, und die Person, die sie getötet hat, vermutlich auch nicht. Ich bin mir bloß nicht im klaren darüber, wie das eine zum anderen führte; das heißt, noch nicht.«
    »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.« Ford wich zurück und stützte sich auf den Schreibtisch, als könnte das massive Holzmöbel seinen Worten Nachdruck verleihen.
    »Vielleicht versteht es Ihre Frau. Ist sie hier,

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