Brunetti 11 - Die dunkle Stunde der Serenissima
wartete. Doch kaum hatte sie ihren Namenszug unter das Datum gesetzt, da erschien ihr Mann in Begleitung eines Anwalts, der sich wortreich dagegen verwahrte, daß man seine Mandantin vernommen habe, ohne ihn hinzuzuholen. Und da Ford offenbar entschlossen war, alle Register zu ziehen, hatte er gleich auch noch einen Arzt mitgebracht, der nach einem flüchtigen Blick auf seine Patientin erklärte, sie gehöre umgehend in eine Klinik. Arzt und Anwalt erinnerten Brunetti an ein Paar Salz- und Pfefferstreuer: Beide Männer waren groß und hager; der Doktor war blaß und weißhaarig, Filippo Boscaro, der Advokat, hatte dunkles Haar und trug einen dichten schwarzen Schnurrbart.
Brunetti wollte wissen, warum die Signora so dringend ins Krankenhaus müsse, und der Mediziner, dessen beschützende Hand auf Signora Fords Schulter ruhte, sagte, seine Patientin stehe ganz offensichtlich unter Schock und sei daher kaum in der Verfassung, irgendwelche Fragen zu beantworten.
Daraufhin blickte Signora Ford erst ihn an und dann ihren Gatten, der neben ihr kniete und seine Hände fürsorglich um die ihren geschlungen hatte. »Hab keine Angst, Eleonora«, sagte er, »ich werde dich beschützen.«
Die Frau lehnte sich an ihn und flüsterte etwas, das Brunetti nicht hören konnte. Ford küßte sie sanft auf die Wange, und als sie zu Brunetti aufschaute, glühte ihr Gesicht vor vergoltener Liebe. Brunetti sagte nichts, sondern wartete Fords nächsten Schachzug ab.
Unbeholfen, da seine Hände immer noch in denen seiner Frau gefangen waren oder vielmehr die ihren gefangenhielten, erhob sich der Bibliotheksdirektor. Als er sich aufgerichtet hatte, half er seiner Frau aus ihrem Stuhl hoch, legte behütend den Arm um sie und wandte sich dann an den Arzt: »Giulio, würden Sie Eleonora hinausbringen?«
Bevor der Arzt reagieren konnte, schritt Brunetti ein: »Ich fürchte, ich kann Ihre Frau nicht gehen lassen, es sei denn, eine Polizistin begleitet sie.« Ford, sein Anwalt und der Arzt wetteiferten in ihrem Protest gegen diese Entscheidung, doch Brunetti öffnete ungerührt die Tür zum Korridor und forderte den Posten draußen auf, unverzüglich eine Polizistin heraufzuschicken.
Der Anwalt, den Brunetti vom Sehen kannte, über den er aber kaum mehr wußte, als daß er Strafverteidiger war, sagte drohend: »Sie wissen hoffentlich, Commissario, daß nichts von dem, was meine Mandantin hier möglicherweise ausgesagt hat, beweiskräftig ist.«
»Wofür?« fragte Brunetti.
»Wie bitte?«
»Beweiskräftig wofür?« wiederholte Brunetti.
»Was auch immer« war alles, was dem düpierten Juristen dazu einfiel.
»Dürfte es als Beweis dafür gelten, daß die Signora hier gewesen ist, avvocato?« fragte Brunetti höflich. »Oder vielleicht dafür, daß sie in der Lage war, ihre Personalien anzugeben?« Er wußte, daß es nichts bringen würde, den Anwalt zu reizen; trotzdem konnte er sich diese kleine Spitze nicht versagen.
»Ich weiß nicht, was das soll, Commissario«, knurrte Boscaro, »aber ich habe das Gefühl, daß Sie mich absichtlich provozieren.«
Brunetti, der das nicht hätte leugnen können, wandte sich rasch an den Arzt. »Würden Sie mir Ihren Namen nennen, Dottore?«
»Giulio Rampazzo«, sagte der Weißhaarige.
»Und Sie sind Signora Fords Hausarzt?«
»Ich bin Psychiater«, antwortete Dr. Rampazzo.
»Verstehe.« Brunetti nickte bedächtig. »Und ist Signora Ford schon länger bei Ihnen in Behandlung?«
Hier verlor der Ehemann die Geduld. Er zog seine Frau fester an sich und führte sie zur Tür. »Ich höre mir diese Farce nicht länger an. Ich werde meine Frau jetzt von hier wegbringen.«
Brunetti wußte, daß es sinnlos gewesen wäre, sich dem Mann in den Weg zu stellen, besonders, da er Arzt und Anwalt im Schlepptau hatte. Doch er sah erleichtert, daß die angeforderte Polizistin bereits vor der Tür stand. »Kommen Sie herein, Sie werden diese Dame hier begleiten.«
»Sì, Signore«, sagte sie und salutierte, ohne zu fragen, wohin sie mit der Frau gehen, was sie an ihrer Seite tun oder verhindern solle.
»In welche Klinik bringen Sie die Signora?« fragte Brunetti den Psychiater. Während Rampazzo, der offenbar um eine Antwort verlegen war, sich bemühte, nicht allzu hilfesuchend nach Ford zu schielen, machte Brunetti sich seine mißliche Lage zunutze und entschied: »Gut, dann werde ich Sie zum Ospedale Civile eskortieren lassen.« Und er wies den Beamten, der inzwischen wieder auf seinem Posten war, an, ein
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