Dinner mit Rose
Kapitel 1
Z EHN KILOMETER SÜDLICH der Stadt fuhr ich die steile, von tiefen Furchen durchzogene Auffahrt hoch, lenkte den Wagen um ein großes Schlagloch und eine mit Eierkürbissen gefüllte Schubkarre herum und parkte auf dem staubigen Schotter neben dem Haus, wo ich von einer hysterisch kläffenden Hundemeute empfangen wurde.
Ich öffnete die Autotür einen Spaltbreit und rief in scharfem Ton »Schluss! Aus! Platz!«, woraufhin sich die Hunde hechelnd auf den Boden sinken ließen. Jetzt, wo sie wie zu Salzsäulen erstarrt waren, konnte ich sie zählen. Es waren vier.
»Kindchen!« Tante Rose rauschte mit einem halb ausgewachsenen rosigen Schweinchen im Schlepptau um die Hausecke. »Wie geht es dir, mein Herz?«
»Ausgezeichnet«, versicherte ich ihr. »Ich freue mich, dich wiederzusehen.« Tante Rose war weit über eins achtzig groß und gebaut wie ein Panzer, so dass ich mich recken musste, um sie zu umarmen, was mir nur selten passiert. Da ich selbst fast die Einsachtzigermarke erreiche, war das zur Abwechslung einmal ganz angenehm.
Sie lächelte mich liebevoll an. »Ganz meinerseits«, sagte sie. Ihre Stimme klang weich und samtig, mit voll tönenden Vokalen, und man dachte beim Zuhören unwillkürlich an Übungen in Sprechtechnik, Gurkensandwiches und Teestunden mit dem Vikar, ja man neigte dabei sogar eher dazu, in seinen Gedanken das distinguierte Wort ›man‹ zu verwenden. Solche sprachlichen Gepflogenheiten sind seltsam ansteckend.
»Und? Gibt es was Neues?«, erkundigte ich mich.
»Ach, ich war schrecklich beschäftigt. Dieses unfähige Bibliothekskomitee hat diese Woche unglaublich viel meiner Zeit in Anspruch genommen, und der Garten rächt sich. Ich werde deine Dienste benötigen, Kind.«
»Kein Problem«, nickte ich. »Du kannst mich in Kürbissen bezahlen.«
»Diese verflixten Dinger!«, schimpfte Rose. »Jedes Jahr pflanze ich ein paar kleine, mickrige Setzlinge, die in den ersten beiden Monaten ständig einzugehen drohen und jede halbe Stunde gegossen werden müssen. Und dann gehe ich nur kurz zum Milchholen, und schon verwandeln sie sich in Monster.«
»Warum pflanzt du dann überhaupt noch welche?«
»Es ist wie eine Sucht«, entgegnete sie düster. »Vermutlich brauche ich eine Therapie.«
»Du könntest ja eine Selbsthilfegruppe besuchen. Du weißt schon – nach dem Motto ›Hallo, ich bin Rose Thornton, und mein letzter Kürbisrückfall ist erst zwei Tage her.‹«
»Gute Idee«, lobte sie. »Komm rein. Es müsste langsam Zeit für einen Gin Tonic sein.«
Wir machten es uns mit unseren Drinks in der Hand nebeneinander in zwei alten Liegestühlen auf der Veranda bequem. Roses Haus diente einst als Wohngebäude einer großen Farm, die schon vor langer Zeit in mehrere kleinere Gehöfte aufgeteilt worden war. Mittlerweile ist die auf einem Hügelkamm erbaute alte Villa mit ihren hohen Decken und ihrem Spitzdach aber so baufällig, dass sich Reparaturarbeiten kaum mehr lohnen würden. Die Veranda weist eine bedenkliche Schräglage auf, die der des abgesackten Küchenfußbodens entspricht, die Wohnzimmertür muss mit einer alten Ausgabe der Woman’s Weekly zugeklemmt werden, damit es nicht ständig zieht, und in allen Schränken sammeln sich kleine Häufchen Holzwurmstaub. Überall blättert die Farbe ab, das Gitterwerk ist morsch, und im Dach klaffen mindestens drei Löcher. Doch dafür rankt sich eine riesige rote Kletterrose über die Veranda, und der Blick über die Bergketten ist atemberaubend. In den vier Jahren, die seit meinem letzten Besuch vergangen sind, hatte sich nichts verändert, und ich empfand sofort wie früher ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit.
Ich trank einen großen Schluck von meinem Gin Tonic und musste prompt husten. »Ist da überhaupt Tonic drin, Tante Rose?«
»Ein Schuss.« Sie nippte vorsichtig an ihrem eigenen Drink. »Hmm, vielleicht war ich ein bisschen zu großzügig mit dem Gin. Wie geht es deinen Eltern?«
»Mum steht morgen eine Qualitätsprüfung ins Haus, deshalb schrubbt sie den Melkschuppen mit einer Zahnbürste. Dad geht’s gut.«
»Spielt er immer noch Gitarre?«
»Ja«, gestand ich bekümmert.
»Es könnte schlimmer sein. Stell dir vor, er würde auf Dudelsack umsteigen.«
»Das Schlimme ist der Gesang. Er kann den Ton nicht halten.«
»Deine Eltern sind beide Prachtmenschen«, tröstete mich Rose. »Nur ein bisschen verrückt.«
Das Ferkel kletterte auf die Veranda und ließ sich neben ihrem Stuhl auf den Boden
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