Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle
löste seine Hände voneinander und umklammerte mit der Rechten die seines Vaters. Endlich sagte er mit leiser Stimme: »Ich habe Angst.«
»Wovor?« »Vor dem, was passieren könnte. Oder wie man es auslegen wird.«
»Nämlich?«
»Als ob ich ihm nicht hätte helfen wollen. Daß ich tatenlos zugesehen hätte, weil ich ihn nicht mochte.«
»Hatten die anderen den Eindruck, daß Sie ihn nicht mochten?«
»Ernesto wollte, daß sie das denken«, beteuerte Paolo und rückte ein winziges Stück von seinem Vater ab, als fürchte er sich vor dessen Gesichtsausdruck. Aber seine Hand ließ er nicht los. »Er hat mir gesagt, wie ich mich verhalten soll, damit die andere Sache nicht auffliegt.«
»Sie meinen, daß Sie beide ...«
»Ja. Wir machen es fast alle, aber normalerweise mit wechselnden Partnern. Ernesto wollte es immer nur mit mir tun. Und ich habe mich geschämt deswegen.«
Der Junge wandte sich an seinen Vater. »Papa, muß ich noch mehr Fragen beantworten?«
Statt zu antworten, warf der Maggiore Brunetti einen fragenden Blick zu. Der beugte sich vor, nannte die Uhrzeit, erklärte die Vernehmung für beendet und schaltete das Mikrophon aus.
Stumm erhoben sich alle fünf. Donatini, der der Tür am nächsten gesessen hatte, ging und öffnete sie. Der Maggiore legte seinem Sohn den Arm um die Schultern. Brunetti schob seinen Stuhl unter den Tisch, gab Vianello das Zeichen zum Aufbruch und ging zur Tür. Er war schon fast an der Schwelle, als er hinter sich ein Geräusch hörte, doch es war bloß Vianello, der über seinen Stuhl gestolpert war.
Als er sich überzeugt hatte, daß Vianello nichts weiter passiert war, warf Brunetti einen letzten Blick auf Vater und Sohn, die einander gegenüberstanden. Und da sah er, wie Paolo, dem sein Vater sich mit gespannter Aufmerksamkeit entgegenneigte, das rechte Auge zukniff und einmal triumphierend und verschlagen zwinkerte. Im selben Moment hob der Vater die Rechte und versetzte dem Jungen einen anerkennenden Schlag auf den Bizeps.
27
V ianello hatte es nicht gesehen. Ihm war dieser Sekundenbruchteil komplizenhaften Einvernehmens zwischen Vater und Sohn entgangen. Brunetti wandte sich zur Tür und schritt an dem plötzlich auffallend stummen Donatini vorbei. Auf dem Flur wartete er, bis Vianello herauskam, gefolgt von den beiden Filippis und ihrem Anwalt.
Langsam und umständlich schloß Brunetti das Verhörzimmer ab, denn er brauchte Zeit zum Nachdenken.
Donatini sprach als erster. »Es ist Ihre Entscheidung, Commissario, wie Sie diese Informationen verwenden wollen.« Brunetti gab keine Antwort, ließ nicht einmal erkennen, ob er seine Worte gehört hatte.
In Brunettis Schweigen hinein ergriff der Maggiore das Wort. »Vielleicht wäre es besser, wenn die Familie des Jungen ihn so in Erinnerung behalten könnte, wie sie ihn gesehen haben«, sagte er feierlich. Und Brunetti gestand sich beschämt, daß ihn, wäre er nicht Zeuge des triumphalen Siegerblicks zwischen Vater und Sohn geworden, die Sorge des Mannes um Ernestos Familie gerührt hätte. Jetzt aber hätte er ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen. Statt dessen kehrte er allen den Rücken und schritt den Korridor entlang. Hinter sich hörte er den Jungen rufen: »Soll ich noch etwas unterschreiben?« Und dann, absichtlich verzögert: »Commissario?«
Brunetti ging unbeirrt weiter. Er hatte nur den einen Wunsch, sich in seinem Büro zu verkriechen, wie ein Tier, das sich erst in seiner Höhle sicher fühlt vor dem Feind. Oben angekommen, schloß er die Tür hinter sich. Vianello würde ihn, sosehr ihn das wunderliche Benehmen seines Vorgesetzten auch verwirren mochte, allein lassen, bis er gerufen wurde.
»Schachmatt und aus das Spiel«, sagte Brunetti laut. Er war seinem inneren Aufruhr so sehr ausgeliefert, daß er sich buchstäblich nicht mehr rühren konnte. Da half es auch nichts, die Fäuste zu ballen und die Augen zu schließen: Vor diesem Zwinkern, diesem anerkennenden Schlag gab es kein Entrinnen. Selbst wenn außer ihm auch Vianello Zeuge gewesen wäre - für sie oder die Moros würde das nichts ändern. Filippis Geschichte klang glaubhaft, der ganze Auftritt war perfekt inszeniert. Brunetti schauderte bei dem Gedanken, wie sehr ihn das schamhafte Stammeln des Jungen gerührt, wie er sich seinen eigenen Sohn an Paolos Stelle gedacht und Furcht und Reue gesehen hatte, wo doch nur niederträchtige List am Werk gewesen war.
Fast wünschte er, Vianellos Stimme an der Tür zu hören, damit er ihm
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