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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Mißfallen oder Entrüstung bedeuten mochte, und dann glitten sie aneinander vorbei wie Schiffe in der Nacht, kaum daß eins vom anderen Notiz nahm.
    »Schließen Sie die Tür.« Patta blickte kurz auf und widmete sich dann wieder den Papieren auf seinem Schreibtisch. Brunetti gehorchte, zuversichtlich, daß er an der Art, wann und wie Patta »bitte« sagte, erkennen würde, was für eine Unterredung ihm bevorstand. Doch die bloße Tatsache, daß er Zeit genug hatte, diese Überlegung anzustellen, machte jede Hoffnung auf einen freundlich kollegialen Gedankenaustausch zunichte. Ein kurzes Hinauszögern der Höflichkeitsbezeigung kam dem routinierten Peitschenschnalzen eines Kutschers gleich: eine harmlose Luftnummer, die den Gaul auf Trab bringt, ohne ihm weh zu tun. Eine längere Pause würde Pattas Verärgerung signalisieren, ohne deren Ursache zu enthüllen. Entfiel das »bitte« hingegen ganz, so wie diesmal, dann war der Vice-Questore entweder zornig oder verunsichert, und Brunetti wußte aus Erfahrung, daß letzteres gefährlicher war, denn ein Patta, der sich ängstigte, gefährdete rücksichtslos die Karriere anderer, um die eigene zu schützen. Diese Bilanz hatte Brunetti gezogen, bevor er sich seinem Vorgesetzten wieder zuwandte, und so konnte der Anblick eines finster grollenden Pattas ihn nicht mehr einschüchtern.
    »Ja, Signore?« fragte er mit geziemendem Ernst und mimte die Haltung des Befehlsempfängers vor dem Alphamann, während er darauf wartete, daß Patta ihm einen Platz anweisen würde.
    »Worauf warten Sie?« raunzte Patta, ohne ihn anzusehen.
    »Setzen Sie sich.«
    Brunetti gehorchte und stützte die Arme auf die Stuhllehnen. Er war neugierig, welche Szene Patta spielen und wie er sie anlegen würde. Eine Minute herrschte Schweigen. Patta las weiter in der Akte, die aufgeschlagen vor ihm lag. Hin und wieder blätterte er eine Seite um.
    Wie die meisten Italiener war auch Brunetti ein Bewunderer alles Schönen und umgab sich, soweit es ihm möglich war, mit Schönheit - das galt für seine Frau, die Kleidung, die er trug, die Bilder in seiner Wohnung; ja sogar ein schöner Gedanke in den Büchern, die er las, erfüllte ihn mit Freude. Doch (und das fragte er sich jedesmal, wenn er Patta vielleicht eine Woche lang nicht gesehen hatte) wie war es möglich, daß ein so gutaussehender Mann alle, aber auch wirklich alle Eigenschaften vermissen ließ, die sich normalerweise mit Schönheit paarten? Die aufrechte, stolze Haltung beschränkte sich aufs Äußerliche, denn moralisch gesehen war Patta ohne jedes Rückgrat; das energische Kinn verhieß Charakterstärke, wo nur Verbohrtheit waltete; und die klaren dunklen Augen sahen bloß, was sie sehen wollten.
    Brunetti war so in seine Betrachtung vertieft, daß er weder bemerkte, wie Patta sich ihm endlich doch zuwandte, noch den Anfang seiner Rede mitbekam. Erst bei den Worten »... wie Sie seine Schüler schikanieren« schaltete er sich ein.
    Gleich einem Gelehrten, der aus bruchstückhaften Funden einen zusammenhängenden Text erstellt, schloß Brunetti, daß mit den Schülern wohl die Kadetten von San Martino gemeint waren und daß der einzige, der die Jungen selbstherrlich als die seinen bezeichnete, ohne Zweifel der Comandante war.
    »Ich habe zufällig einen der Schüler in seinem Zimmer angetroffen, und wir haben uns über seine Unterrichtsfächer unterhalten. Ich glaube nicht, daß man das als Schikane auslegen kann, Vice-Questore.«
    »Und zwar nicht nur Sie«, fuhr Patta unbeirrt fort. Brunettis Einwurf schien er gar nicht gehört zu haben. »Ihre Beamten genauso. Ich war gestern abend zum Essen eingeladen, und der Vater eines Kadetten, der ebenfalls zu Gast war, hat sich beschwert, weil Ihr Sergente seinen Sohn bei der Befragung sträflich hart rangenommen hat.« Patta ließ diese Ungeheuerlichkeit gebührend nachwirken, bevor er ergänzte: »Und dieser Vater war ein Schulkamerad von General D'Ambrosio.«
    »Das tut mir leid, Signore.« Ob diese Jungen sich wohl auch dann noch bei ihren Vätern beschweren würden, wenn sie eines Tages in den Krieg müßten und vom Feind »hart rangenommen« würden? »Hätte der Mann das gewußt, wäre er bestimmt höflicher gewesen.«
    »Jetzt werden Sie nicht auch noch frech, Brunetti!« herrschte Patta ihn an; offenbar reagierte er heute schneller auf die Ironie seines Commissario als sonst. »Ich dulde nicht, daß Ihre Leute sich in San Martino aufspielen und die Kadetten unter Druck setzen. Das sind die

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