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Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle

Titel: Brunetti 12 - Verschwiegene Kanäle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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nicht ermordet?« fragte sie zurück. »Oder wenn ein Diebstahl erst nach über einer Woche zur Anzeige kommt, dann wurde nichts gestohlen?« Er nickte, und Signorina Elettra überdachte den Plan. Schließlich sagte sie: »Der ViceQuestore wäre bestimmt hocherfreut, ich fürchte nur, für uns könnte es unangenehm werden, falls wir unsere Zahlen irgendwann belegen müssen.«
    Seufzend verabschiedete Brunetti sich von der Hoffnung auf einen leichten Sieg und fragte: »Sehen Sie eine andere Möglichkeit, den Bericht so anzulegen, daß er die gewünschten Resultate bekommt?«
    »Ich denke«, versetzte sie ernsthaft, »es wird nicht schwer sein, ihm diesen Gefallen zu tun. Wir müssen nur aufpassen und vorsichtig sein mit der Anzahl der erfaßten Straftaten.«
    »Will heißen?«
    »Daß wir nur die Fälle aufnehmen, die bei uns protokolliert wurden oder in denen eine denuncia bei den Carabinieri vorliegt.«
    »Und was bringt uns das?«
    »Bekanntlich zeigen die Leute kleinere Vergehen nicht an, und Taschendiebstahl oder harmlose Einbrüche schon gar nicht. Wenn also jemand anruft und einen Diebstahl meldet, sich aber dann nicht die Mühe macht, herzukommen und die nötigen Formulare auszufüllen, dann wird der Fall nicht aktenkundig.« Sie hielt einen Moment inne, damit Brunetti, der ihre jesuitischen Winkelzüge kannte, sich schon einmal auf das Ergebnis einstellen konnte, auf das ihre Überlegungen zusteuerten. »Und wenn keine schriftliche denuncia vorliegt - also gewissermaßen auch keine Straftat begangen wurde -, dann sehe ich keinen Grund, warum wir sie in unsere Statistik aufnehmen sollten.«
    »Was schätzen Sie denn, wieviel Prozent nicht ordnungsgemäß angezeigt werden?«
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung, Commissario. Was nicht vorhanden ist, läßt sich nun mal nicht nachweisen.«
    Wieder folgte eine Pause, und dann sagte sie: »Ich würde denken, etwas mehr als die Hälfte.«
    »Werden angezeigt?« fragte Brunetti.
    »Fallen unter den Tisch.«
    Diesmal war es Brunetti, der eine lange Pause brauchte, bevor er sagte: »Das ist sehr günstig für uns, nicht?«
    »Allerdings«, antwortete sie und fragte dann: »Möchten Sie, daß ich die Sache in die Hand nehme, Commissario? Er braucht den Bericht für die Presse, und die Zeitungen wollen schreiben, Venedig sei eine glückliche Insel, auf der es so gut wie keine Kriminalität gibt; folglich wird niemand meine Zahlen und Bilanzen in Frage stellen.«
    »Aber das sind wir doch auch, oder?«
    »Was? Eine glückliche Insel?«
    »Ja.«
    »Im Vergleich zum Rest des Landes schon, ja.«
    »Und was glauben Sie, wie lange das noch so bleibt?«
    Signorina Elettra zuckte mit den Schultern. Aber als Brunetti sich zum Gehen wandte, zog sie einen Schnellhefter aus der Schreibtischschublade. »Die Recherche wegen Dottor Moro - ich hab's nicht vergessen, Signore«, sagte sie und reichte ihm den Ordner.
    Er bedankte sich und verließ das Büro. Auf der Treppe überflog er die Akte und fand rasch heraus, woher Patta den Dottore kannte. Eine ganz alltägliche Geschichte: Pattas Schwiegermutter war bei Moro in Behandlung, seit der wieder praktizierte. Zwar war es Signorina Elettra nicht gelungen, die Krankenblätter der alten Dame zu beschaffen, aber sie hatte ihre sämtlichen Arzttermine aufgeführt, siebenundzwanzig im Verlauf der letzten beiden Jahre. Am Rand der Seite las er in Signorina Elettras Handschrift den Vermerk »Brustkrebs«. Die letzte Untersuchung lag etwas über zwei Monate zurück.
    Wie jeder Vorgesetzte bot auch Vice-Questore Giuseppe Patta seinen Untergebenen reichlich Diskussionsstoff. Seine Motive waren in der Regel leicht zu durchschauen, denn ob er sich nun zum Handeln entschloß oder lieber den Kopf einzog, stets ging es um Machterhalt und Machterweiterung. Es hatte indes auch Situationen gegeben, wo er Schwächen offenbarte, Schwächen, denen er sogar seinen hemmungslosen Ehrgeiz unterordnete und die immer dann auftraten, wenn es galt, seine Familie zu schützen. Brunetti, der Patta sonst nicht über den Weg traute und ihn für seine durchsichtigen Spielchen verachtete, zollte diesen Schwächen uneingeschränkten Respekt.
    Aus Pietät hatte Brunetti beschlossen, mindestens zwei Tage verstreichen zu lassen, bevor er sich wieder bei den Eltern des Jungen meldete. Die Frist war nun abgelaufen, und als der Commissario an diesem Morgen in die Questura kam, hatte er sich vorgenommen, den Vater oder die Mutter, vielleicht auch beide zu befragen. Unter Dottor

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