Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
anständiger Kerl.«
Vianello erkannte die Retourkutsche sehr wohl, zog es aber vor, nicht darauf einzugehen.
Brunetti wollte noch etwas sagen, als Vianello sich abwandte. Vielleicht, weil er nicht kapitulieren und Lalli Anständigkeit zubilligen wollte, vielleicht auch nur, um Brunettis Blick zu meiden. Was immer der Grund war, Brunetti nahm das zum Anlaß, seinerseits beleidigt zu reagieren. »Ich denke«, sagte er herausfordernd, »ich sollte mal mit dem reden, der nicht im Rollstuhl sitzt. Also mit dem Rugbyspieler.«
»Wie Sie wünschen, Commissario«, erwiderte Vianello, erhob sich und verließ grußlos das Büro.
22
A ls die Tür hinter Vianello ins Schloß gefallen war, kam Brunetti schlagartig zur Besinnung. »Wie konnte das nur geschehen?« murmelte er vor sich hin. Waren das die Gefühle, mit denen ein Trinker aus dem Suff erwachte oder ein Choleriker nach einem Anfall? Als ob sie aus der Kulisse zugesehen hätten, wie jemand, der als ihr Ebenbild verkleidet war, sich durch einen schlechten Text haspelte? Er ließ das Gespräch mit Vianello Revue passieren und versuchte den Moment einzufangen, in dem ein schlichter Informationsaustausch unter Kollegen entgleist und in einen testosterongesteuerten Rivalitätskampf ausgeartet war. Der sich, und das war das Lächerliche daran, an Brunettis Weigerung entzündete, eine Meinung zu akzeptieren, nur weil der, der sie geäußert hatte, zufällig Rugby spielte.
Nach etlichen Minuten des Grübelns griff sein besseres Ich zum Telefon und rief unten im Dienstzimmer an, wo ein nervös klingender Pucetti ihm nach langem Zögern erklärte, Vianello sei nicht da. Brunetti legte den Hörer auf und dachte an den schmollenden Achilles in seinem Zelt.
Da läutete das Telefon, und in der Hoffnung, es sei Vianello, hob er gleich beim ersten Klingeln ab.
»Ich bin's, Commissario«, meldete sich Signorina Elettra. »Ich habe ihre Telefonverbindungen.«
»Was denn, so schnell?«
»Das Krankenhaus hat Giorgios Frau noch einen Tag behalten, also ist er doch schon morgens ins Büro gegangen.«
»Ist irgendwas nicht in Ordnung?« fragte Brunetti, ganz treusorgender Familienmensch.
»Nein, nein. Aber ihr Onkel ist der primario in der Klinik, und er hielt es für besser, sie noch einen Tag unter Beobachtung zu haben.« Man hörte ihrer Stimme an, daß sie bemüht war, seine Besorgnis um eine Frau zu zerstreuen, die er nicht einmal kannte. »Mutter und Kind sind wohlauf.«
Signorina Elettra hielt kurz inne, falls er noch Fragen hatte, doch da Brunetti schwieg, fuhr sie fort: »Als Giorgio mein E-Mail bekam, hat er gleich losgelegt. In dem Monat vor ihrem Tod hat die Battestini die Zentrale der Schulbehörde angerufen - es war das einzige Telefonat, das von ihrem Anschluß geführt wurde -, und am Tag darauf bekam sie einen Anruf von derselben Nummer. Ansonsten hat nur ihre Nichte einmal angerufen. Weiter niemand.«
»Wie viele Tage hat Giorgio überprüft?«
»Den ganzen Monat, bis hin zum Tag ihrer Ermordung.«
Keiner von beiden äußerte sich dazu, daß Signora Battestini, die dreiundachtzig Jahre in ein und derselben Stadt gelebt hatte, im Laufe eines Monats nur zwei Anrufe bekam. Brunetti fiel ein, daß in den Kartons auf ihrem Speicher keine Bücher gewesen waren: Ihr Leben beschränkte sich auf einen Platz vor dem Fernseher und die Gesellschaft einer Frau, die fast kein Italienisch sprach.
Beim Gedanken an die Kartons auf dem Dachboden fiel ihm ein, wie flüchtig er sie inspiziert hatte, und darüber entging ihm, was Signorina Elettra als nächstes sagte. Als er sich wieder einklinkte, hörte er nur noch: »... am Tag, bevor sie starb.«
»Wie bitte?« fragte er. »Entschuldigung, aber ich war ganz woanders.«
»Der Anruf von der Schulbehörde kam einen Tag vor ihrem Tod.«
Sie sagte es mit unverhohlenem Stolz, aber Brunetti bedankte sich nur flüchtig und legte auf. Während des Gesprächs mit ihr war ihm ein zündender Gedanke gekommen: Die Sachen auf Signorina Battestinis Speicher mußten noch einmal gründlich unter die Lupe genommen werden. Das Motiv Erpressung war erst nach seiner hastigen Inspektion ins Spiel gekommen, aber nun, da sie es im Visier hatten, konnte er sich die Kartons auf dem Dachboden noch einmal in aller Ruhe vornehmen. Zwar wußte er noch immer nicht, wonach er suchte, doch jetzt bestand zumindest die Hoffnung, daß es etwas zu finden gab.
Brunetti griff zum Telefon, um Vianello zu fragen, ob er ihn begleiten wolle, bevor ihm einfiel,
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