Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
telefonino, erfragte bei der Questura die Nummer der Grenzpolizei in Villa Opicina und meldete sich dort mit Namen und Dienstgrad. Dann schilderte er in knappen Worten den Mord und erkundigte sich, wann der nächste Zug aus Venedig die Grenze passieren würde. Möglicherweise sitze die Tatverdächtige in ebendiesem Zug, erklärte er und wies nachdrücklich darauf hin, daß es sich bei der Gesuchten um eine Rumänin handle, die man, falls ihr die Flucht in ihr Heimatland gelänge, schwerlich wieder ausliefern würde, weshalb man sie unter allen Umständen noch vor der Grenze abfangen müsse.
Nachdem er versprochen hatte, den Kollegen ihr Foto durchzufaxen, sobald er wieder in der Questura war, unterstrich der Tenente noch einmal die Brutalität des Verbrechens und legte auf.
Die weitere Spurensuche am Tatort überließ Scarpa den Kriminaltechnikern und befahl dem Bootsmann, ihn zur Questura zurückzubringen, von wo er Florinda Ghiorghius Ausweis an die Grenzpolizei faxte. Das Foto würde hoffentlich erkennbar in Villa Opicina ankommen. Anschließend begab Tenente Scarpa sich zu seinem Vorgesetzten, Vice-Questore Giuseppe Patta, um ihm zu melden, wie zügig Gewaltverbrechen in seiner Stadt verfolgt würden.
Als das Fax in Villa Opicina eintraf, telefonierte der diensthabende Offizier der Grenzpolizei, Capitano Luca Peppito, bereits mit dem capostazione der Bahnstation und wies ihn an, den Zagreb-Express aufzuhalten, damit er und seine Männer den Zug nach einer heimtückischen Mörderin durchsuchen könnten, die im Begriff sei, außer Landes zu fliehen. Peppito legte den Hörer auf, vergewisserte sich, daß seine Pistole geladen war, und ging hinunter, um seine Männer zusammenzutrommeln.
Zwanzig Minuten später lief der Intercity nach Zagreb in den Grenzbahnhof ein, wo normalerweise nur ein kurzer Halt für Lokomotivenwechsel und Paßkontrolle vorgesehen war. Dagegen geriet die Zollkontrolle zwischen diesen beiden Kleindarstellern auf der Bühne des vereinten Europas in den letzten Jahren mehr und mehr zur bloßen Formsache; ab und zu kassierte man noch die Gebühr für eine Stange Zigaretten oder eine Flasche Grappa, deren Ein- bzw. Ausfuhr indes keines der beteiligten Länder mehr um seinen wirtschaftlichen Fortbestand bangen ließ.
Peppito hatte seine Männer an beiden Enden des Zuges postiert und hielt zusätzlich eine Doppelstreife am Bahnhofseingang in Bereitschaft; allen war eingeschärft worden, daß sie keinen weiblichen Passagier ohne gründliche Überprüfung der Papiere durchlassen dürften.
Drei Männer stiegen in den letzten Wagen ein und arbeiteten sich nach vorne vor. Abteil für Abteil kontrollierten sie systematisch jeden Fahrgast und ließen auch die Toiletten nicht aus, während Peppito ihnen von der Zugspitze her mit zwei Beamten entgegenrückte.
Peppitos Sergente war es, der die Gesuchte auf einem Fensterplatz eines Zweite-Klasse-Abteils entdeckte, gleich im ersten Wagen hinter der Lokomotive. Fast hätte er sie übersehen, weil sie, den Kopf ans Fenster gelehnt, schlief oder sich schlafend stellte. Aber das breitflächige, slawische Gesicht fiel ihm doch auf, ebenso wie die gedrungene, muskulöse Statur, die man bei osteuropäischen Frauen weit häufiger antrifft als im Westen. Außer ihr saßen noch zwei Reisende im Abteil, ein beleibter Mann mit rotem Kopf, der eine deutschsprachige Zeitung las, und ein älterer Herr, der über einem Worträtsel in der Settimana Enigmistica brütete. Peppito schob die Tür so schwungvoll zurück, daß sie gegen den Rahmen krachte, was die Schlafende erschrocken auffahren ließ. Verwirrt blickte sie um sich. Die beiden Männer sahen zu den uniformierten Beamten hoch. »Sì?« fragte der ältere leicht gereizt.
»Signori, verlassen Sie das Abteil«, befahl Peppito, und um jedem Einwand zuvorzukommen, strich er mit der Rechten über den Schaft seiner Pistole. Das genügte, und die Männer räumten unverzüglich das Feld, ja versuchten nicht einmal, ihre Koffer mitzunehmen.
Offenbar in dem Glauben, der Befehl gelte auch für sie, erhob sich die Frau am Fenster.
Doch als sie sich an Peppito vorbeizwängen wollte, packte der sie mit festem Griff am linken Unterarm. »Papiere, Signora!« verlangte er herrisch.
Sie sah unter flatternden Lidern zu ihm auf. »Cosa?« fragte sie ängstlich.
»Documenta« wiederholte er lauter.
Sie lächelte nervös; eigentlich verzog sie nur beschwichtigend die Gesichtsmuskeln, zum Zeichen, wie harmlos und gutwillig sie sei.
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