Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
die Frau?« fragte der Beamte.
»Ich glaube schon«, antwortete Dottor Carlotti.
»Florinda Ghiorghiu«, las der Polizist von dem Formular ab, und da fiel es auch dem Arzt wieder ein.
»Ja, Flori«, bestätigte er und fragte gespannt: »Ist sie da drin?« Hoffentlich kam es der Polizei nicht seltsam vor, daß er nicht nach ihr gesucht hatte, und hoffentlich hatten sie jetzt nicht auch ihren Leichnam gefunden.
»Kaum«, antwortete der Polizist merklich gereizt. »Von ihr fehlt jede Spur, aber die Wohnung ist völlig verwüstet. Jemand hat alles durchwühlt und bestimmt alles Wertvolle mitgehen lassen.«
»Sie glauben ...« hob Carlotti an, doch der Polizist fiel ihm ins Wort.
»Ja, natürlich!« konterte er so heftig, daß der Arzt erschrocken zurückwich. »Die aus den Ostblockstaaten sind doch alle gleich. Lauter Geschmeiß.« Bevor Carlotti etwas einwenden konnte, hatte der Polizist sich so in Rage geredet, daß er die Worte förmlich ausspie. »In der Küche liegt eine blutverschmierte Schürze. Klarer Fall: Die Rumänin hat sie umgebracht.« Und dann, wie in einem Nachruf auf Maria Grazia Battestini, den Dottor Carlotti ihr wahrscheinlich nicht gewährt hätte, seufzte er noch: »Arme alte Frau.«
2
D er Beamte, der die Ermittlungen leitete, Tenente Scarpa, entließ Dottor Carlotti mit der Weisung, er dürfe ohne polizeiliche Erlaubnis die Stadt nicht verlassen. Scarpas Ton verriet dabei einen so unmißverständlichen Schuldverdacht, daß Carlotti der Protest auf den Lippen erstarb und er wortlos verschwand.
Als nächstes erschien Dottor Ettore Rizzardi, medico legale der Stadt Venedig, dem es oblag, das Opfer für tot zu erklären und erste Angaben zur mutmaßlichen Tatzeit zu machen. Nüchtern, wenn auch mit übertriebener Höflichkeit gegen Tenente Scarpa, konstatierte Rizzardi, daß Signora Battestini offenbar an mehreren Schlägen auf den Kopf gestorben sei, ein Befund, den, so meinte er, die Obduktion bestätigen würde. Weiter befand Dr. Rizzardi, nachdem er die Temperatur der Leiche gemessen hatte, der Tod sei, ungeachtet der Fliegen, wahrscheinlich vor zwei bis vier Stunden eingetreten, also irgendwann zwischen zehn und zwölf Uhr morgens. Und nach einem Blick auf Scarpas abschätzige Miene setzte der Gerichtsmediziner hinzu, daß er nach der Obduktion präzisere Angaben machen könne, es aber für höchst unwahrscheinlich halte, daß die Frau länger als vier Stunden tot sei. Zur Mordwaffe wollte Rizzardi vorerst nicht mehr sagen, als daß es sich um einen schweren Gegenstand mit gekerbten oder kantigen Ecken handle, vielleicht aus Metall, vielleicht auch aus Holz. Er traf diese Aussage ohne Kenntnis der blutverschmierten Bronzestatue des unlängst seliggesprochenen Padre Pio, die in einer durchsichtigen Plastiktüte auf den Abtransport ins Labor wartete, wo man sie auf Fingerabdrücke untersuchen würde.
Nachdem der Leichnam äußerlich begutachtet und fotografiert worden war, ließ Scarpa ihn zur Obduktion ins Ospedale Civile bringen und mahnte Rizzardi zur Eile. Die Kriminaltechniker wies er an, sich die Wohnung vorzunehmen, auch wenn das, nach dem wüsten Durcheinander zu schließen, schon andere besorgt hatten. Er selbst machte sich nach Rizzardis stummem Abgang in dem Hinterzimmer auf Spurensuche, das offenbar Florinda Ghiorghiu als Schlafraum gedient hatte. Während im Wohnzimmer das Oberste zuunterst gekehrt war, hatte dieses triste Gelaß, kaum größer als eine Besenkammer, den Täter offenbar nicht interessiert. Die Einrichtung beschränkte sich auf ein schmales Bett und ein Regal mit einem abgewetzten Vorhang, der ursprünglich wohl als Tischtuch gedient hatte. Dahinter fand Scarpa zwei zusammengefaltete Blusen und zweimal Unterwäsche zum Wechseln. Ein Paar schwarze Turnschuhe standen ordentlich nebeneinander am Boden. Auf dem Fenstersims über dem Bett entdeckte er ein Foto von drei kleinen Kindern in einem billigen Papprahmen und ein Buch, das er nicht weiter beachtete. Ein kartonierter Ordner enthielt Fotokopien von Personalpapieren: die ersten beiden Seiten von Florinda Ghiorghius rumänischem Paß sowie Duplikate ihrer italienischen Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis. Laut Ausweis war sie 1953 geboren und von Beruf »Haushaltshilfe«. Beigefügt war eine nur zur Hälfte entwertete Rückfahrkarte zweiter Klasse für die Strecke Bukarest - Venedig. Da sich in dem Raum weder Tisch noch Stuhl befand, war die Durchsuchung hiermit abgeschlossen.
Tenente Scarpa zückte sein
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