Brunetti 18 - Schöner Schein
Schließlich hörte der Husten auf, und nachdem sie ein paar Mal tief Luft geholt hatte, sagte sie in die Runde: »Entschuldigung. Mir ist was in den falschen Hals geraten.« Sie legte beschwichtigend ihre Hand auf die ihres Mannes und sagte etwas zu ihm, worauf er sich lächelnd wieder seinem Gespräch mit dem Conte zuwandte.
Sie nahm ein paar kleine Schlucke aus ihrem Wasserglas, probierte den Risotto und legte die Gabel hin. Als habe es keine Unterbrechung gegeben, sah sie Brunetti an und sagte: »Zum Thema Politik lese ich am liebsten Cicero.«
»Warum?«
»Weil er so gut hassen kann.«
Brunetti zwang sich, auf das zu achten, was sie sagte, und nicht auf den schauerlichen Mund, aus dem die Worte kamen; und sie diskutierten immer noch über Cicero, als die Diener ihre kaum angerührten Teller mit Risotto wieder abräumten.
Sie sprach von der Verachtung des römischen Schriftstellers für Catilina und alles, was dieser Mann verkörperte; sie sprach von dem erbitterten Hass, den Cicero für Marc Anton empfand; sie unternahm keinen Versuch, ihre Freude darüber zu verhehlen, dass Cicero am Ende zum Konsul gewählt worden war; und Brunetti konnte nur staunen, wie vertraut sie mit den Schriften des Römers war.
Die Diener räumten gerade den nächsten Gang ab, eine Gemüsetorte, als Signora Marinellos Mann sich zu ihr umdrehte und etwas sagte, das Brunetti nicht mitbekam. Lächelnd widmete sie sich wieder ihrem Mann und sprach auf ihn ein, bis das Dessert - eine mächtige Sahnetorte und ein vollgültiger Ersatz für das bei dieser Mahlzeit fehlende Fleisch - beendet und der Tisch abgeräumt war. Brunetti, der Konventionen des gesellschaftlichen Umgangs eingedenk, widmete seine Aufmerksamkeit der Frau von Avvocato Rocchetto, die ihn über die jüngsten Skandale innerhalb der Verwaltung des Teatro La Fenice informierte.
»... letztlich entschieden, unser abbonamento nicht zu verlängern. Das ist alles so schrecklich mittelmäßig, und sie wollen auch weiterhin diesen erbärmlichen Mist aus Frankreich und Deutschland bringen«, sagte sie, geradezu bebend vor Missbilligung. »Man kommt sich vor wie in einem kleinen Theater in einem winzigen französischen Provinznest«, fügte sie noch hinzu und fegte Theater und französisches Provinzleben mit einer Handbewegung in den Orkus. Brunetti dachte an Jane Austens Empfehlung: »Spar dir den Atem zum Suppeblasen«, und verkniff sich die Bemerkung, das Teatro La Fenice sei auch nichts anderes als ein kleines Theater in einer winzigen italienischen Provinzstadt, weshalb man auch nichts Großartiges erwarten könne.
Der Kaffee wurde serviert, und dann rollte ein Diener einen Wagen mit Grappa und diversen digestivi herein. Brunetti bat um einen Domenis, der nicht enttäuschte. Er drehte sich zu Paola um und wollte sie den Grappa kosten lassen, aber sie lauschte gerade Cataldo, der etwas zu ihrem Vater sagte. Sie hatte das Kinn in die Hand gestützt, so dass ihre Armbanduhr in Brunettis Richtung zeigte. Es war bereits weit nach Mitternacht. Behutsam schob er einen Fuß über den Boden, bis er an etwas stieß, das fest, aber nicht so hart wie ein Stuhlbein war, und tippte sachte zweimal dagegen.
Keine Minute später sah Paola auf ihre Uhr. »Oddio, morgen um neun kommt ein Student zu mir ins Büro, und ich habe noch nicht mal seinen Aufsatz gelesen.« Sie beugte sich vor und sagte über den Tisch hinweg zu ihrer Mutter: »Wenn ich nicht selber schreibe, muss ich lesen, was andere geschrieben haben; ich komme kaum noch zu etwas anderem.«
»Und nie wirst du rechtzeitig fertig«, ergänzte der Conte, aber in einem liebevollen, schicksalsergebenen Ton, der klarmachte, dass er das nicht als Vorwurf meinte.
»Wir sollten dann vielleicht ebenfalls aufbrechen, caro?«, sagte Cataldos Frau lächelnd.
Cataldo nickte. Er erhob sich, trat hinter seine Frau und zog ihren Stuhl zurück, als sie aufstand. Er wandte sich an den Conte. »Ich danke Ihnen, Signor Conte«, sagte er mit einer leichten Verbeugung. »Es war sehr freundlich von Ihnen und Ihrer Frau, uns einzuladen. Zumal uns das die Gelegenheit gab, Ihre Familie kennenzulernen.« Er sah lächelnd zu Paola hinüber.
Servietten wurden auf den Tisch gelegt, und Avvocato Rocchetto bemerkte, er müsse sich unbedingt die Beine vertreten. Als der Conte Franca Marinello fragte, ob er sie mit seinem Boot nach Hause bringen solle, erklärte Cataldo, an der porta d'acqua warte sein eigenes. »Es macht mir nichts aus, eine Strecke zu Fuß
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