Bruno Chef de police
von irgendwelchen durchgeknallten Rassisten begangen worden, die leider nicht zu fassen sind? Das Klima in Saint-Denis und Umgebung wäre auf Jahre hinaus vergiftet.«
»Das ist mir auch schon durch den Kopf gegangen. Die Gefahr besteht, und wir sollten versuchen, die Risiken abzuwägen«, sagte Bruno. »Und da ist noch etwas, was mir Sorgen macht. Wir reden von Hamid als Kriegsverbrecher, und, zugegeben, es war schrecklich, was Hamid und die
Force mobile
getan haben. Es war blanker Terrorismus.
Aber wir müssen auch Folgendes bedenken. Hamid war gerade erst neunzehn oder zwanzig Jahre alt. Er lebte in den Slums von Marseille, und es herrschte Krieg. Er hatte keinen Job, war ohne Familie und wurde als >dreckiger Araber< verachtet. Sein Fußballtrainer Villanova war womöglich der Einzige, der sich um ihn kümmerte. Er versprach ihm einen Ausweg aus der Misere, und plötzlich hat er einen Job, eine Uniform, drei Mahlzeiten am Tag und einen Anspruch auf Sold. Zum ersten Mal kann er etwas vorweisen. Er hat ein Gewehr und Kameraden, mit der Kaserne ein Dach über dem Kopf, und er führt die Befehle eines Mannes aus, den er respektiert und der im Auftrag der Regierung handelt. Außerdem hat er für seine Taten in der
Force mobile
in der Zeit danach teuer bezahlt. Er kämpfte für Frankreich, diesmal in unserer Uniform, gegen die Deutschen. Er kämpfte in Indochina und in Algerien. Er war in einer kämpfenden Einheit an der Front und blieb zeit seines Lebens Mitglied unserer französischen Streitkräfte - der einzige Ort, wo er sich zu Hause fühlte. Ja, er war ein Kriegsverbrecher, aber er hat sich auch zu rehabilitieren versucht. Er hat eine ehrbare Familie gegründet, seinen Kindern eine gute Ausbildung zukommen lassen, so dass sein Sohn heute unseren Kindern in Saint-Denis das kleine Einmaleins beibringt. Sein Enkel ist ein prima Kerl und selbst bald Vater. Wollen wir all das in Frage stellen, indem wir den Scheißdreck von damals wieder aufrühren?«
»Scheißdreck, Sie sagen es«, brummte Jean-Jacques.
»Wie auch immer, die Entscheidung darüber werden nicht wir treffen«, fuhr Bruno fort. »Sobald diese Sache rauskommt, schalten sich höchste Regierungsvertreter ein. Es wird ihnen nicht gefallen, dass alte Helden der Résistance einen arabischen Kriegsverbrecher getötet haben, sechzig Jahre nach dessen Taten. Überlegen Sie einmal. Die Minister des Inneren, der Justiz, der Verteidigung und der Premierminister werden im Élysée-Palast antanzen und dem Präsidenten erklären müssen, was in den nächsten Wochen zu erwarten ist, wenn Presse und Fernsehen davon berichten, dass bewaffnete Araber mit den Nazis kollaboriert, französische Familien terrorisiert und später in der französischen Armee Unterschlupf gefunden haben. Und obendrein auch noch als Kriegshelden mit einem
croix de guerre
dekoriert worden sind. Können Sie sich vorstellen, wie sich das in den Meinungsumfragen niederschlagen würde, auf den Straßen, bei den nächsten Wahlen? Raten Sie mal, Jean-Jacques, was der
Front National
daraus machen würde.«
»Darüber haben nicht wir zu befinden, Bruno. Wir tun unsere Arbeit, sammeln Beweise und lassen die Justiz alles andere erledigen. So will es unsere Strafprozessordnung.«
»Ja, aber so läuft der Hase nicht. Wahrscheinlich wird Tavernier die Sache in die Hand nehmen, und er tut nichts, ohne vorher alle möglichen politischen Folgen ausgelotet und sich mit jedem Minister, den er zu fassen kriegt, abgesprochen zu haben. Wenn wir ihm die Sachlage erklären, wird er sofort begreifen, dass es politischer Selbstmord wäre, den Fall vor Gericht zu bringen. Ich wette mit Ihnen um eine Flasche Champagner, dass sich Tavernier, wenn er einen Blick in die Akten geworfen hat, krankmeldet und für unbestimmte Zeit abtaucht.«
»Mit Ihnen wette ich nicht, Bruno, ich würde doch nur verlieren. Im Übrigen glaube ich nicht, dass Tavernier den Ausschlag geben wird. Die Sache lässt sich auf Dauer nicht vertuschen. Undichte Stellen gibt's immer. Zum Beispiel in Person dieser englischen Historikerin. Apropos, haben Sie was mit ihr?«
»Das geht Sie nichts an. Aber ich sage Ihnen was, Jean-Jacques. Ich würde mit Ihnen gerne auf dem Rückweg in Périgueux haltmachen und Tavernier die Beweise auf den Tisch legen. Anschließend packen wir den jungen Richard Gelletreau in den Wagen, fahren zurück nach Saint-Denis und laden ihn bei seinen Eltern ab. Gegen ihn liegt nichts vor. Sie haben das Geständnis von Jacqueline
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