Bruno Chef de police
Saint-Denis zählte nicht dazu, wohl aber die benachbarten Dörfer Saint-Félix, Bastignac, Melissou, Ponsac, Saint-Chamassy und Tillier.
Sie breiteten die Fotos auf dem Schreibtisch des Kurators aus und verglichen sie miteinander. Hussein Boudiaf, der Fußballer, und der gleichnamige Truppenführer der
Force mobile
waren offensichtlich ein und dieselbe Person. Und sonst war er sein eigener Doppelgänger. Ein Abgleich der Daumenabdrücke von al-Bakr aus dem Register der französischen Armee mit denen aus Boudiafs Soldbuch der
Milice
schloss schließlich jeden Zweifel über seine Identität aus. Ein zusätzlicher Beleg waren die Angaben über Tag und Ort seiner Geburt: 14. Juli 1923 in Oran, Algerien. Nur die Anschriften differierten. Boudiaf war in der Polizeikaserne in Périgueux gemeldet gewesen und nicht in Marseille.
»Das ist also unser Mordopfer«, sagte Jean-Jacques. »Ein Widerling.«
»Augenblick.« Der Museumskurator trat vor ein hohes Bücherregal, entnahm ihm einen dicken Wälzer und blickte, nachdem er das Stichwortverzeichnis aufgeschlagen hatte, mit zufriedener Miene auf. »Hab ich's doch richtig in Erinnerung gehabt. Die Rue de Poissoniers gehörte zum
Vieux Port
von Marseille, der vor der Invasion von Bomben zerstört wurde. Eine günstige Adresse also für jemanden, der seine wahre Identität zu verbergen versucht.«
Sie nahmen sich nun die von Villanova unterzeichneten Einsatzberichte der
Force mobile
vor. An den Überfällen vom 8. Mai auf Ortschaften in der Nähe von Saint-Denis war auch die von Boudiaf angeführte Truppe beteiligt gewesen. Es hieß, dass sie vierzehn »Partisanenstützpunkte«, sprich: Bauernhöfe, zerstört hatte. Ausgerechnet am 8. Mai, dachte Bruno, am Tag der Kapitulation des Kriegsfeindes genau ein Jahr später, einem Tag, den Frankreich seither mit festlichen Umzügen feierte. Er würde die alljährliche Parade in Saint-Denis von nun an mit anderen Gefühlen begleiten.
Und plötzlich tauchten in seiner Erinnerung Bilder auf, so scharf und deutlich wie auf Fotos oder in Zeitlupe, Bilder von der diesjährigen Parade, als Karim unter den Augen seiner stolzen Familie die französische Fahne zum Kriegerdenkmal geführt hatte. Auch sein Großvater Hamid, der tags darauf ermordet werden sollte, war zugegen gewesen, der Einsiedler, der sich sonst nie in der Stadt hatte blicken lassen, weder beim Einkauf noch in den Cafés, wo die anderen alten Männer hockten, miteinander plauderten und Pétanque spielten, der nur mit seiner Familie in Kontakt gestanden und zu allen anderen Distanz gehalten hatte. Bruno erinnerte sich außerdem an Jean-Pierre vom Fahrradladen und an den Schuster Bachelot, jene beiden Veteranen der Résistance, die sich geflissentlich aus dem Weg gingen, an diesem Tag aber Seite an Seite ihre Fahnen geschwenkt und dann wie in stillschweigendem Einvernehmen einander angesehen hatten. Ihm, Bruno, waren bei den Klängen des Zapfenstreiches, den der Enkel des Engländers geblasen hatte, vor Rührung die Augen feucht geworden, in der offenbar fälschlichen Annahme, dass Jean-Pierre und Bachelot wieder aufeinander zuzugehen bereit waren.
Dann las er die Mitschriften der Verhöre, die die von Böhmers Truppen gefangen genommenen Widerstandskämpfer hatten über sich ergehen lassen müssen, ehe sie an die Wand gestellt worden waren. Und schon der dritte Name, auf den er stieß, lautete auf Philippe Bachelot, neunzehnjährig, aus Saint-Félix. Einen Courrailler, so der Nachname Jean-Pierres, fand er allerdings nicht. Doch er kannte eine junge Frau gleichen Namens, die in Ponsac wohnte und in ihrem neugebauten Zwinger Labradors züchtete. Ihre Familie bewirtschaftete dort einen Bauernhof. Bruno kannte den Hof, denn es war einer der wenigen, die gut über die Runden kamen und mit hohen Investitionen den Auflagen der Europäischen Kommission entsprechen konnten. Bruno entschuldigte sich, verließ das Archiv und ging auf den Museumsplatz hinaus, um von dort aus über sein Handy den Bürgermeister anzurufen.
»Wir haben ihn anhand der Fotos und Daumenabdrücke eindeutig identifiziert«, sagte Bruno. »Hamid al-Bakr alias Hussein Boudiaf gehörte der
Force mobile
an. Er war Truppenführer und verantwortlich für die Überfälle auf mehrere Höfe in unserer Gemeinde im Mai 1944. Jeder Zweifel ist ausgeschlossen. Aber es kommt noch schlimmer. Einer der betroffenen Höfe gehörte Bachelots Familie. Bachelots älterer Bruder war von den Deutschen gefoltert worden. Ein weiterer
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