Bruno Chef de police
Moulin
verabredet. Christine war noch früher gekommen und bereits im Büro des Archivars, eines älteren Historikers. Das
Centre Jean Moulin
war nach einem der berühmtesten Anführer der Résistance benannt worden, der versucht hatte, Kommunisten, Gaullisten und Patrioten unter ein Kommando zusammenzuführen. Er war an die Gestapo verraten, von Klaus Barbie in Lyon gefoltert worden und beim Abtransport in ein deutsches Konzentrationslager an einem Herzversagen gestorben. Das Centre in dem eleganten neoklassizistischen Gebäude mitten in Bordeaux' Innenstadt versteckt die dunkle Vergangenheit hinter Mauern aus weißem Stein. Der Öffentlichkeit ist es besser bekannt als
Musée de la Résistance.
In den Schaukästen sind Holzpantinen, Brautkleider aus Mehlsäcken und Lebensmittelkarten ausgestellt - alles Gegenstände, die den Kriegsalltag vor Augen führen: Dynamos, die, von Fahrrädern in Gang gesetzt, Strom für die Funkgeräte im Untergrund erzeugten oder Autos mit riesigen Treibstofftanks auf dem Dach, die aus Holzkohle gewonnenes Karbongas enthielten. Ausgestellt sind auch heimlich gedruckte Zeitungen und Flugblätter oder auch leichte Maschinenpistolen und Panzerfäuste, Granaten und Haftbomben, die von britischen Flugzeugen für die Kämpfer der Résistance abgeworfen worden waren. Und im Hintergrund erklingen leise auf endlosen Soundtracks die Lieder, die damals gesungen wurden: Liebeslieder von Charles Trenet oder die trotzige Résistance-Hymne
Le Chant des partisans.
Den wertvollsten Bestand fand Bruno im Obergeschoss, wo die Archive und Sammlungen schriftlicher und mündlicher Zeugnisse aufbewahrt werden, die jene qualvolle Zeit der französischen Geschichte in Erinnerung bewahren.
Christine und Jean-Jacques arbeiteten sich durch die an vielen Stellen lückenhaften Aufzeichnungen der
Force mobile
und stellten fest, dass Hussein Boudiaf und Massiii Barakine im Dezember 1942 von einer Spezialeinheit der
Milice
in Marseille rekrutiert worden waren. Nach einer zweimonatigen Grundausbildung wurden sie einem hundertzwanzig Mann starken Trupp zugeteilt, der, von
Capitaine
Villanova angeführt, die Aufgabe hatte, in der Gegend um Marseille sogenannte Antiterroroperationen durchzuführen. Im Oktober 1943, kurz nachdem die Briten und die Amerikaner in Italien gelandet waren, hatten die Deutschen ihre Okkupation auch auf die bislang von der Vichy-Regierung kontrollierten Gebiete ausgeweitet und die
Force mobile
der Gestapo unterstellt. Dokumente belegten, dass Villanovas Einheit im Februar 1944 in Périgueux den Auftrag erhielt, »Strafmaßnahmen gegen Unterstützer der Partisanen« durchzuführen.
Christine und Jean-Jacques fanden Soldquittungen, die von Boudiaf unterzeichnet waren, Stellungsbefehle für Villanova, Listen, die die Namen von Boudiaf und Barakine enthielten, sowie Anträge zur Beschaffung von Sprengstoff und Benzin, um »Partisanennester« auszuheben. Unterdessen durchforstete der Kurator die Aufzeichnungen aus dem Soldbüro der
Force mobile
und entdeckte eine Urkunde, mit der Boudiaf im Mai, unmittelbar nach einem Anschlag der Résistance auf einen Konvoi Villanovas, zum Rottenführer befördert worden war. Mit der Beförderung waren ihm ein Soldbuch der
Milice
sowie ein neuer Ausweis mit Lichtbild ausgestellt worden, die Boudiaf aber anscheinend nie abgeholt hatte. Die letzten Aufzeichnungen der
Milice
datierten vom Juli 1944, also aus der Zeit der Invasion der Alliierten, die das Vichy-Regime endgültig zu Fall gebracht hatte.
Bruno und Isabelle studierten die Einsatzberichte der
Force mobile,
Protokolle über sogenannte Strafaktionen, die vom Stützpunkt in Périgueux ausgingen und in das gesamte Umland ausstrahlten - bis nach Limousin im Norden, Saint-Emilion und Pomerol in den westlichen Weingebieten, Brive im Osten und bis in die Täler der Vézère und Dordogne im Süden. Die Region um Saint-Denis wurde Ende März heimgesucht. Diesem Überfall lagen Informationen des Geheimdienstes zugrunde, abgepresst von Gefangenen, die das Böhmer-Regiment gemacht hatte, eine auf den Kampf gegen Partisanen spezialisierte Wehrmachtseinheit, die zufällig auf einen Stützpunkt der
Maquis
in den Hügeln bei Sarlat gestoßen war. Bruno notierte sich die Namen der Gefangenen, die alle erschossen worden waren. Aus den Unterlagen ging hervor, dass sie Familien angehörten, deren Söhne sich dem Arbeitsdienst und dem Zugriff der sto entzogen hatten. Über deren Wohnorte war die
Force mobile
hergefallen.
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