Buchanan - 06 - Schattentanz
habe noch nicht das Bewusstsein wiedererlangt.
Er quartierte sich in einem heruntergekommenen Motel in der Nähe des Flughafens ein, um die weitere Entwicklung abzuwarten. Dann schlief er nur ein paar Stunden, weil er die Nachrichten nicht verpassen wollte.
In den Frühnachrichten gab es einen Bericht über Richter Buchanan und seine eindrucksvolle Karriere. Auf einem lokalen Sender wurde ein Interview mit einer matronenhaften Frau mit strohblond gebleichten Haaren gebracht, die angeblich bei der Schießerei dabei gewesen war. Lebhaft schilderte sie die Vorfälle. Sie sei gerade aus dem Krankenhaus gekommen, als die Schüsse knallten. Nur eine Minute später, und sie hätte das Opfer sein können anstelle der armen Tochter des Bundesrichters. Sie erzählte dem Reporter, sie habe sich hinter einem Krankenwagen versteckt, um nicht getroffen zu werden.
Ihre Schilderung der Umstände stimmte hinten und vorne nicht. Sie behauptete, sie habe zwei Männer in einem Wagen gesehen, aus dem auf den Richter geschossen worden war, wobei einer sich aus dem Beifahrerfenster beugte. Das Auto wäre um die Ecke geschossen, und sowohl der Fahrer als auch der andere Mann hätten das Feuer eröffnet. Rein praktisch war das, was sie behauptete, unmöglich. Wenn zwei Männer geschossen hätten, hätte einer von beiden die parkenden Autos treffen müssen.
Aber dem Fernsehreporter fiel diese Unstimmigkeit nicht auf. Seine Stimme triefte vor falschem Mitgefühl. »Das muss schrecklich gewesen sein. Haben Sie gesehen, wie Richter Buchanans Tochter zu Boden gestürzt ist? Können Sie sich erinnern, wie viele Schüsse gefallen sind? Haben Sie die Männer gesehen? Und könnten Sie sie identifizieren?«
»Nein«, hatte sie geantwortet und auf einmal nervös gewirkt. Nein, sie könnte keinen der beiden identifizieren. Ihre Gesichter wären nicht zu erkennen gewesen, weil sie Kapuzen getragen hätten.
Und so ging es immer weiter. Je mehr Interesse und Mitgefühl der Reporter zeigte, desto ungeheuerlicher wurde die Geschichte. Die Frau holte so viel wie möglich aus ihrem kurzen Moment des Ruhms heraus. Sie lächelte in die Kamera und schmückte ihre Erzählung aus.
Zufrieden konstatierte Pruitt, dass jede Nachrichtensendung mit der gleichen Schlagzeile begann, dem Mordanschlag auf einen Bundesrichter.
Diese Tatsache stellte niemand infrage. Warum auch? Schließlich hatte der Richter Morddrohungen bekommen. Natürlich war er die Zielscheibe und seine Tochter nur das unschuldige Opfer.
Allerdings musste Pruitt nun noch die Kopien der Forschungsergebnisse vernichten. Er würde sich einen Aktenvernichter kaufen müssen. Wenn er alles zu feinen Papierstreifen verarbeitet hatte, bräuchte er den Müll einfach nur hinter dem Motel zu entsorgen. Dann war er dieses Problem los.
Der dumme kleine Mann hatte beinahe sein Leben zerstört. Pruitt empfand nicht das leiseste Schuldgefühl wegen des Mordes. Der Bastard hatte ihn erpresst und deswegen den Tod verdient. Dass Pruitt so weit gehen würde, um sich zu schützen, lag wohl außerhalb seines Vorstellungsvermögens.
Ein dummer Zufall, dachte Pruitt. Der Typ war in den Ausstellungsraum seines Autohauses gekommen, während sein Auto repariert wurde. Dabei hatte er Pruitt gesehen und ihn gleich erkannt, wie er ihm später mit verstellter Stimme am Telefon erklärte. Der Mann prahlte damit, er würde nie ein Gesicht vergessen, und Pruitts Gesicht sei ihm ganz besonders im Gedächtnis geblieben, seit er ihn damals im Chernoff-Prozess gesehen hätte. Pruitt war damals ins Gericht gebracht worden, um gegen den Patriarchen der Familie Chernoff auszusagen. Er hatte versucht, sein Gesicht vor den Kameras zu verstecken, aber obwohl alles getan worden war, um sein Bild aus den Medien herauszuhalten, waren den Fotografen ein paar Aufnahmen gelungen.
Man sicherte Pruitt damals Straffreiheit zu, wenn er gegen die Familie aussagte, für die er als Zwangsvollstrecker und Geldeintreiber fungiert hatte. Das war es ihm wert gewesen, gegen den Ehrenkodex des organisierten Verbrechens zu verstoßen. Er nannte dem Staatsanwalt Namen und sagte unter Eid aus, er habe mit angesehen, wie Ray Chernoff seine Frau Marie Chernoff ermordete. Pruitt schilderte die Tat so detailliert, dass das Gericht ihm glaubte. Und Chernoff war zu dreimal lebenslänglich verurteilt worden.
Das meiste von dem, was Pruitt dem Gericht erzählt hatte, stimmte sogar. Wenn ein »Klient« sich weigerte zu kooperieren, dann befahl sein Boss, ihn zu
Weitere Kostenlose Bücher