Buddenbrooks
schlagkräftige und formgewandte Erwiderung ausdachte. »Da dürftest du denn doch wohl in einem Irrtum befangen sein, nicht wahr?! Man hat doch immerhin das Leben kennen gelernt, weißt du! Man ist doch keine Gans mehr! Und dann habe ich ja immer noch mehr Aussicht, mich wieder zu verheiraten, als so manche Andere, es zum ersten Male zu thun.«
»Zo?« sagten die Cousinen einstimmig … Sie sagten »Zo« mit einem Z, was sich desto spitziger und ungläubiger ausnahm.
Sesemi Weichbrodt aber war viel zu gut und taktvoll, um die Sache auch nur zu erwähnen. Tony besuchte ihre ehemalige Pflegerin zuweilen in dem roten Häuschen, am Mühlenbrink Nr. 7, das noch immer von einer Anzahl junger Mädchen belebt wurde, obgleich die Pension anfing, langsam aus der Mode zu kommen; und auch das tüchtige alte Mädchen ward hie und da in die Mengstraße auf einen Rehrücken oder eine gefüllte Gans gebeten. Dann erhob sie sich auf die Zehenspitzen und küßte Tony gerührt, ausdrucksvoll und mit leise knallendem Geräusch auf die Stirn. Was ihre ungelehrte Schwester, Madame Kethelsen anging, so begann sie neuerdings, mit großer Schnelligkeit taub zu werden und hatte fast nichts von Tonys Geschichte verstanden. Sie stieß bei immer unpassenderen Gelegenheiten ihr unwissendes und vor unbefangener Herzlichkeit fast klagendes Lachen aus, sodaß Sesemi sich beständig genötigt sah, auf den Tisch zu pochen und »Nally!« zu rufen …
Die Jahre schwanden dahin. Der Eindruck, den das Erlebnis von Konsul Buddenbrooks Tochter in der Stadt und in der Familie hervorgerufen hatte, verwischte sich mehr und mehr. Tony selbst wurde an ihre Ehe nur dann und wann erinnert, wenn sie im Gesicht der gesund heranwachsenden kleinen Erika diese oder jene Ähnlichkeit mit Bendix Grünlich bemerkte. Aber sie kleidete sich wieder hell, trug ihr Haar wieder über der {263} Stirn gekraust und besuchte wie ehemals Gesellschaften in ihrem Bekanntenkreise.
Immerhin war sie recht froh, daß ihr Gelegenheit geboten wurde, jährlich im Sommer die Stadt auf längere Zeit zu verlassen … denn leider machte das Befinden des Konsuls jetzt weitere Kur-Reisen notwendig.
»Man weiß nicht, was es heißt, alt zu werden!« sagte er. »Ich bekomme einen Kaffeefleck in mein Beinkleid und kann nicht kaltes Wasser daraufbringen, ohne sofort den heftigsten Rheumatismus davonzutragen … Was konnte man sich früher erlauben?« Auch litt er manchmal an Schwindelanfällen.
Man ging nach Obersalzbrunn, nach Ems und Baden-Baden, nach Kissingen, man machte von dort aus sogar eine so bildende wie unterhaltende Reise über Nürnberg nach München, durchs Salzburgische über Ischl nach Wien, über Prag, Dresden, Berlin nach Hause … und obgleich Madame Grünlich wegen einer nervösen Magenschwäche, die sich neuerdings bei ihr bemerkbar zu machen begann, in den Bädern gezwungen war, sich einer strengen Kur zu unterwerfen, empfand sie diese Reisen als eine höchst erwünschte Abwechslung, denn sie verhehlte durchaus nicht, daß sie sich zu Hause ein wenig langweilte.
»O, mein Gott, weißt du, wie es im Leben so geht, Vater!« sagte sie, indem sie gedankenvoll die Zimmerdecke betrachtete … »Gewiß, ich habe das Leben kennen gelernt … aber gerade darum ist es eine etwas trübe Aussicht für mich, hier nun immer zu Hause sitzen zu müssen wie ein dummes Ding. Du glaubst hoffentlich nicht, daß ich nicht gern bei euch bin, Papa … ich müßte ja Schläge haben, es wäre die höchste Undankbarkeit! Aber wie es im Leben so ist, weißt du …«
Hauptsächlich aber ärgerte sie sich über den immer religiöseren Geist, der ihr weitläufiges Vaterhaus erfüllte, denn des Konsuls fromme Neigungen traten in dem Grade, in welchem {264} er betagt und kränklich wurde, immer stärker hervor, und seitdem die Konsulin alterte, begann auch sie an dieser Geistesrichtung Geschmack zu finden. Die Tischgebete waren stets im Buddenbrook'schen Hause üblich gewesen; jetzt aber bestand seit längerer Zeit das Gesetz, daß sich morgens und abends die Familie gemeinsam mit den Dienstboten im Frühstückszimmer versammelte, um aus dem Munde des Hausherrn einen Bibelabschnitt zu vernehmen. Außerdem mehrten die Besuche von Pastoren und Missionären sich von Jahr zu Jahr, denn das würdige Patrizierhaus in der Mengstraße, wo man, nebenbei bemerkt, so vorzüglich speiste, war in der Welt der lutherischen und reformierten Geistlichkeit, der inneren und äußeren Mission längst als ein
Weitere Kostenlose Bücher