Buddenbrooks
Kenntnisse bei Mr. Richardson zu vervollständigen. Es wurden dann noch einige Briefe über seine Pläne gewechselt und im Sommer 1851 segelte Christian Buddenbrook in der That nach Valparaiso, wo er sich eine Position verschafft hatte. Er reiste direkt von England, ohne vorher in die Heimat zurückzukehren.
Abgesehen aber von den beiden Söhnen, bemerkte der Konsul zu seiner Genugthuung, mit welcher Entschiedenheit und welchem Selbstgefühle Tony ihre Stellung als eine geborene Buddenbrook in der Stadt verteidigte … obgleich man hatte vorhersehen müssen, daß sie in ihrer Eigenschaft als geschie {260} dene Frau allerlei Schadenfreude und Voreingenommenheiten auf seiten der anderen Familien werde zu überwinden haben.
»Ha!« sagte sie, als sie mit gerötetem Gesicht von einem Spaziergang zurückkam, und warf ihren Hut auf das Sofa im Landschaftszimmer … »Diese Möllendorpf, diese geborene Hagenström, diese Semlinger, dieses Julchen, dieses Geschöpf … was meinst du wohl, Mama! Sie grüßt mich nicht … nein, sie grüßt mich nicht! Sie wartet, daß ich sie zuerst grüße! Was sagst du dazu! Ich bin in der Breiten Straße mit erhobenem Kopfe an ihr vorübergegangen und habe ihr gerade ins Gesicht gesehen …«
»Du gehst zu weit, Tony … Nein, Alles hat seine Grenzen. Warum konntest du Madame Möllendorpf nicht zuerst grüßen? Ihr seid gleichaltrig, und sie ist eine verheiratete Frau so gut wie du es warst …«
»Niemals, Mama! O Gott, das Geschmeiß!«
»Assez, meine Liebe! So undelikate Worte …«
»Oh, man kann sich hinreißen lassen!«
Ihr Haß gegen diese »hergelaufene Familie« wurde durch die bloße Vorstellung genährt, daß die Hagenströms sich nun vielleicht berechtigt fühlen könnten, auf sie herabzusehen, und nicht minder durch das Glück, mit dem dies Geschlecht emporblühte. Der alte Hinrich starb zu Anfang des Jahres 51, und sein Sohn Hermann … Hermann mit den Citronensemmeln und der Ohrfeige, führte nun an der Seite des Herrn Strunck das glänzend gehende Exportgeschäft fort und heiratete ein kurzes Jahr später die Tochter des Konsuls Huneus, des reichsten Mannes der Stadt, der es mit seinem Holzhandel dahin gebracht hatte, jedem seiner drei Kinder zwei Millionen hinterlassen zu können. Sein Bruder Moritz hatte trotz seiner Brustschwächlichkeit ein ungewöhnlich erfolgreiches Studium hinter sich und ließ sich in der Stadt als Rechtsgelehrter {261} nieder. Er galt für einen hellen, schlauen, witzigen, ja sogar schöngeistigen Kopf und zog rasch eine beträchtliche Praxis an sich. Er hatte nichts Semlinger'sches in seinem Äußern, besaß aber ein gelbes Gesicht und spitzige, lückenhafte Zähne.
Sogar in der Familie selbst galt es den Kopf hochzuhalten. Seit Onkel Gotthold fern den Geschäften lebte, mit seinen kurzen Beinen und weiten Hosen sorglos in seiner bescheidenen Wohnung umherging und aus einer Blechbüchse Brustbonbons aß, denn er liebte sehr die Süßigkeiten … war seine Stimmung gegen den bevorzugten Stiefbruder mit den Jahren immer milder und resignierter geworden, was freilich nicht ausschloß, daß er angesichts seiner drei unverheirateten Töchter einige stille Genugthuung über Tonys mißglückte Ehe empfand. Um aber von seiner Frau, der geborenen Stüwing, und besonders von den drei nun schon sechs-, sieben- und achtundzwanzig Jahre alten Mädchen zu reden, so bewiesen sie für das Unglück ihrer Cousine und den Scheidungsprozeß ein beinahe übertriebenes, ein weitaus lebhafteres Interesse, als sie damals für die Verlobung und Hochzeit selbst offenbart hatten. An den »Kindertagen«, die seit dem Tode der alten Madame Kröger Donnerstags wieder in der Mengstraße abgehalten wurden, hatte Tony keinen leichten Stand ihnen gegenüber …
»O Gott, du Ärmste!« sagte Pfiffi, die Jüngste, die klein und beleibt war und eine drollige Art hatte, sich bei jedem Worte zu schütteln und Feuchtigkeit in die Mundwinkel zu bekommen. »Nun ist es also ausgesprochen? Nun bist du also gerade so weit wie vorher?«
»Ach, im Gegenteile!« sagte Henriette, die wie ihre ältere Schwester von außerordentlich langer und dürrer Gestalt war. »Du bist sehr viel trauriger daran, als wenn du dich überhaupt nicht verheiratet hättest!«
»Das muß ich sagen«, bestätigte Friederike. »
Dann
ist es ja unvergleichlich viel besser,
niemals
zu heiraten.«
{262} »O nein, liebe Friederike!« sagte Tony, indem sie den Kopf zurücklegte und sich eine recht
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