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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Pariser Tinktur oder schon die Perücke? Das wußte Mamsell Jungmann allein, und sie würde es nicht einmal den Damen des Hauses verraten haben.
    Man saß am Ende des Speisetisches und wartete, daß Thomas und Herr Marcus aus dem Comptoir kämen. Weiß und stolz hoben sich die gemalten Götterbilder auf ihren Sockeln von dem himmelblauen Hintergrunde ab.
    Die Konsulin sagte:
    »Die Sache ist diese, mein lieber Justus … ich habe dich bitten lassen … kurz zu sein, es handelt sich um Clara, das Kind. Mein lieber seliger Jean hat die Wahl eines Vormundes, dessen die Dirn noch während dreier Jahre bedarf, mir überlassen … Ich weiß, du liebst es nicht, mit Verpflichtungen überhäuft zu werden; du hast Pflichten gegen deine Frau, gegen deine Söhne …«
    »Gegen meinen Sohn, Bethsy.«
    »Gut, gut, wir sollen christlich und barmherzig sein, Justus. Wie wir vergeben unseren Schuldigern, heißt es. Gedenke unseres gnädigen Vaters im Himmel.«
    Ihr Bruder sah sie ein wenig verwundert an. Man hatte bisher nur aus des verstorbenen Konsuls Munde solche Redewendungen vernommen …
    »Genug!« fuhr sie fort, »es sind so gut wie keine Mühseligkeiten mit diesem Liebesamte verbunden … Ich möchte dich bitten, die Vormundschaft zu übernehmen.«
    »Gern, Bethsy, wahrhaftig, das thu' ich gern. Darf ich mein Mündel nicht sehen? Ein bißchen zu ernst das gute Kind …«
    Clara ward gerufen. Schwarz und bleich erschien sie langsam, mit traurig zurückhaltenden Bewegungen. Sie hatte die Zeit nach ihres Vaters Tode fast unaufhörlich mit Beten auf {276} ihrem Zimmer verbracht. Ihre dunklen Augen waren unbeweglich; sie schien erstarrt in Schmerz und Gottesfurcht.
    Oncle Justus, galant wie er war, schritt ihr entgegen und verbeugte sich beinahe, als er ihr die Hand drückte; dann richtete er einige wohlgesetzte Worte an sie, und sie ging wieder, nachdem sie von der Konsulin einen Kuß auf ihre unbeweglichen Lippen entgegengenommen hatte.
    »Wie geht es dem guten Jürgen?« begann die Konsulin aufs Neue. »Wie fühlt er sich in Wismar?«
    »Gut«, antwortete Justus Kröger, indem er sich mit einem Achselzucken wieder niedersetzte … »Ich glaube, er hat nun seinen Platz gefunden. Er ist ein braver Junge, Bethsy, ein Junge von Ehre; aber … nachdem ihm das Examen zweimal mißglückt, war es das Beste … Die Jurisprudenz machte ihm selbst keinen Spaß, und die Position an der Post in Wismar ist ganz acceptable … Sage mal, ich höre, dein Christian kommt?«
    »Ja, Justus, er wird kommen, und Gott behüte ihn auf der See! Ach, es dauert so fürchterlich lange! Obgleich ich ihm am nächsten Tage nach Jeans Tode geschrieben habe, hat er den Brief noch lange nicht, und dann braucht er mit dem Segelschiff noch ungefähr zwei Monate. Aber er muß kommen, ich habe so sehr das Bedürfnis, Justus! Tom sagte zwar, Jean würde es niemals zugegeben haben, daß er seine Stelle in Valparaiso fahren läßt … aber ich bitte dich: acht Jahre beinahe, daß ich ihn nicht gesehen habe! Und dann unter diesen Umständen! Nein, ich will sie Alle um mich haben in dieser schweren Zeit … das ist natürlich für eine Mutter …«
    »Sicherlich, sicherlich!« sagte Konsul Kröger, denn ihr kamen die Thränen.
    »Jetzt ist auch Thomas einverstanden«, fuhr sie fort, »denn wo ist Christian besser aufgehoben, als in dem Geschäft seines seligen Vaters, in Toms Geschäft? Er kann hier bleiben, hier arbeiten … ach, ich bin auch beständig in Angst, daß ihm dort drüben das Klima ein Übel thut …«
    {277} Nun kam, begleitet von Herrn Marcus, Thomas Buddenbrook in den Saal. Friedrich Wilhelm Marcus, des verstorbenen Konsuls langjähriger Prokurist, war ein hochgewachsener Mann in braunem Schoßrock mit Trauerflor. Er sprach sehr leise, zögernd, ein wenig stotternd, jedes Wort eine Sekunde lang überlegend, und pflegte mit dem gerade ausgestreckten Zeige- und Mittelfinger seiner Linken langsam und vorsichtig über seinen rotbraunen, ungepflegt den Mund bedeckenden Schnurrbart zu streichen oder sich mit Sorgfalt die Hände zu reiben, wobei er seine runden, braunen Augen so bedächtig zur Seite wandern ließ, daß er den Eindruck völliger Konfusion und Abwesenheit machte, obgleich er stets aufmerksam prüfend bei der Sache war.
    Thomas Buddenbrook, in so jungen Jahren bereits der Chef des großen Handlungshauses, legte in Miene und Haltung ein ernstes Würdegefühl an den Tag; aber er war bleich, und seine Hände im Besonderen, an deren

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