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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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ist unverantwortlich. Ich würde meinem Manne einmal ernstlich ins Gewissen reden, Mama …«
    Sie saß, nach der Mode in changierende Seide gekleidet, auf {267} dem Sofa bei der Konsulin, die ihrerseits eine schwerere Robe aus grauer, gerippter, mit schwarzen Spitzen besetzter Seide trug. Die Enden ihrer aus Spitzen und steifem Tüll gefertigten Haube, die unterm Kinn mit einer Atlasschleife zusammengefaßt waren, fielen auf die Brust hinab. Ihr glattgescheiteltes Haar war unveränderlich rotblond. Sie hielt einen Pompadour in ihren beiden weißen und zartblau geäderten Händen. Neben ihr im Fauteuil lehnte Tom und rauchte seine Cigarette, während am Fenster Clara und Thilda einander gegenübersaßen. Es war unfaßlich, wie völlig erfolglos die arme Klothhilde täglich so gute und reichliche Nahrung zu sich nahm. Sie wurde beständig magerer, und ihr schwarzes Kleid, welches überhaupt gar keinen Schnitt hatte, beschönigte diese Thatsache nicht. In ihrem langen, stillen, grauen Gesicht unter dem glatten, aschfarbenen Scheitel stand eine gerade und poröse Nase, die sich vorn verdickte …
    »Meint ihr, daß es
nicht
regnen wird!« sagte Clara. Das junge Mädchen hatte die Gewohnheit, bei einer Frage niemals die Stimme zu erheben, und sah mit einem bestimmten und ziemlich strengen Blick jedem Einzelnen ins Gesicht. Ihr braunes Kleid war lediglich mit einem kleinen, weißen, gestärkten Fallkragen und eben solchen Manschetten geschmückt. Sie saß aufrecht, die Hände im Schoße zusammengelegt. Die Dienstboten fürchteten sie am meisten, und sie hielt morgens und abends die Andacht ab, denn der Konsul konnte nicht mehr vorlesen, ohne sich Beschwerden im Kopf zu verursachen.
    »Nimmst du für heute Abend deinen
Baschlik
mit, Tony!« fragte sie wieder. »Er wird verregnen. Schade um den neuen Baschlik. Ich halte es für richtiger, daß ihr euren Spaziergang verschiebt …«
    »Nein«, erwiderte Tom; »Kistenmakers kommen. Es macht nichts … das Barometer ist zu plötzlich gefallen … Es giebt irgend eine kleine Katastrophe, einen Guß … nichts Dauern {268} des. Papa ist noch nicht fertig, schön. Wir können ruhig warten, bis es vorüber ist.«
    Die Konsulin erhob abwehrend eine Hand.
    »Du glaubst, daß ein Gewitter kommt, Tom? Ach, du weißt, ich ängstige mich.«
    »Nein«, sagte Tom. »Ich habe heute Morgen am Hafen mit Kapitän Kloot gesprochen. Er ist unfehlbar. Es giebt bloß einen Platzregen … nicht einmal stärkeren Wind.«
    Verspätete Hundstage hatte diese zweite Septemberwoche gebracht. Bei Süd-Süd-Ost-Wind hatte der Sommer schwerer als im Juli auf der Stadt gelastet. Ein fremdartig dunkelblauer Himmel hatte über den Giebeln geleuchtet, fahl am Horizonte, wie in der Wüste; und nach Sonnenuntergang hatten in den schmalen Straßen Häuser und Bürgersteige wie Öfen eine dumpfe Wärme ausgestrahlt. Heute war der Wind ganz nach Westen hin umgeschlagen, und gleichzeitig hatte dieser plötzliche Barometersturz stattgefunden … Noch war ein großer Teil des Himmels blau, aber langsam zog ein Komplex von graublauen Wolken daran herauf, dick und weich wie Kissen.
    Tom fügte hinzu:
    »Ich finde auch, der Regen käme höchst erwünscht. Wir würden verschmachten, wenn wir in dieser Luft marschieren müßten. Es ist eine unnatürliche Wärme. Ich habe dergleichen in Pau nicht gehabt …«
    In diesem Augenblick trat Ida Jungmann, die kleine Erika an der Hand, ins Zimmer. Das Kind stak in einem frisch gesteiften Kattunkleidchen, verbreitete einen Geruch von Stärke und Seife und sah sehr drollig aus. Es hatte ganz die rosige Gesichtsfarbe und die Augen des Herrn Grünlich; aber die Oberlippe war diejenige Tonys.
    Die gute Ida war schon ganz grau, beinahe weiß, obgleich sie kaum die Vierzig überschritten hatte. Aber das lag in ihrer Familie; auch der Onkel, welcher am Schluckauf zu Grunde {269} gegangen war, hatte mit dreißig Jahren schon weißes Haar gehabt; übrigens blickten ihre kleinen braunen Augen treu, frisch und aufmerksam. Sie war nun zwanzig Jahre bei Buddenbrooks und empfand mit Stolz ihre Unentbehrlichkeit. Sie führte die Aufsicht über Küche, Speisekammer, Wäscheschränke und Porzellan, sie machte die wichtigeren Einkäufe, sie las der kleinen Erika vor, machte ihr Puppenkleider, arbeitete mit ihr und holte sie, bewaffnet mit einem Packet von belegtem Franzbrot, mittags von der Schule ab, um mit ihr auf dem Mühlenwall spazieren zu gehen. Jede Dame sagte zur Konsulin

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