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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Nachmittags im Garten … vorm Portal … Sie wissen, Herr Marcus: unser Portal. – Gut! Wer erscheint? Eine Person mit einem goldfarbenen Backenbart … Was für ein Filou! …«
    »So«, sagte Thomas. »Wir reden nachher von Herrn Grünlich, nicht wahr?«
    »Gut, gut; aber das wirst du mir zugeben, Tom, du bist ein kluger Mensch, und die Erfahrung habe ich gemacht, weißt du, obgleich ich vor kurzer Zeit noch so sehr einfältig war, nämlich daß im Leben nicht Alles immer mit ehrlichen und gerechten Dingen zugeht« …
    »Ja …« sagte Tom. Und man fuhr fort, man ging ins Detail, man nahm Kenntnis von den Bestimmungen über die große Familienbibel, über des Konsuls Diamantknöpfe, über viele einzelne Dinge … Justus Kröger und Herr Marcus blieben zum Abendbrot.

2.
    Zu Beginn des Februar 1856, nach achtjähriger Abwesenheit, kehrte Christian Buddenbrook in die Vaterstadt zurück. Er kam, in einem gelben und großkarierten Anzug, der durchaus etwas Tropisches an sich hatte, mit der Postkutsche von Hamburg, brachte den Schnabel eines Schwertfisches und ein großes Zuckerrohr mit und nahm in halb zerstreuter, halb verlegener Haltung die Umarmungen der Konsulin entgegen.
    Diese Haltung bewahrte er auch, als gleich am nächsten Vormittag nach seiner Ankunft die Familie vors Burgthor hinaus zum Friedhofe ging, um auf dem Grabe einen Kranz niederzulegen. Sie standen Alle bei einander auf dem verschneiten Wege vor der umfangreichen Platte, auf welcher die Namen der {283} hier Ruhenden das in Stein gearbeitete Wappen der Familie umgaben … vor dem aufrechten Marmorkreuz, das sich an den Rand des kleinen, winterlich kahlen Friedhofgehölzes lehnte: Alle, ausgenommen Klothhilde, die auf »Ungnade« weilte, um ihren kranken Vater zu pflegen.
    Tony legte den Kranz auf den in goldenen Buchstaben frisch in die Platte eingelassenen Namen des Vaters und kniete dann trotz des Schnees am Grabe nieder, um leise zu beten; der schwarze Schleier umspielte sie, und ihr weiter Kleiderrock lag ein wenig malerisch schwungvoll neben ihr ausgebreitet. Gott allein wußte, wieviel Schmerz und Religiosität, und andererseits wieviel Selbstgefälligkeit einer hübschen Frau in dieser hingegossenen Stellung lag. Thomas war nicht in der Stimmung, darüber nachzudenken. Christian aber blickte seine Schwester mit einem Mischausdruck von Moquerie und Ängstlichkeit von der Seite an, als wollte er sagen: »Wirst du das auch verantworten können? Wirst du auch nicht verlegen werden, wenn du aufstehst? Wie unangenehm!« Tony fing diesen Blick auf, als sie sich erhob; aber sie geriet durchaus nicht in Verlegenheit. Sie legte den Kopf zurück, ordnete Schleier und Rock und wandte sich mit würdevoller Sicherheit zum Gehen, was Christian sichtlich erleichterte.
    War der verstorbene Konsul, mit seiner schwärmerischen Liebe zu Gott und dem Gekreuzigten, der erste seines Geschlechtes gewesen, der unalltägliche, unbürgerliche und differenzierte Gefühle gekannt und gepflegt hatte, so schienen seine beiden Söhne die ersten Buddenbrooks zu sein, die vor dem freien und naiven Hervortreten solcher Gefühle empfindlich zurückschreckten. Sicherlich hatte Thomas mit reizbarerer Schmerzfähigkeit den Tod seines Vaters erlebt, als etwa sein Großvater den Verlust des seinen. Dennoch pflegte er nicht am Grabe in die Kniee zu sinken, hatte er sich niemals, wie seine Schwester Tony, über den Tisch geworfen, um zu schluchzen {284} wie ein Kind, empfand er als im höchsten Grade peinlich die großen, mit Thränen gemischten Worte, mit denen Madame Grünlich zwischen Braten und Nachtisch die Charaktereigenschaften und die Person des toten Vaters zu feiern liebte. Solchen Ausbrüchen gegenüber hatte er einen taktvollen Ernst, ein gefaßtes Schweigen, ein zurückhaltendes Kopfnicken … und gerade dann, wenn Niemand des Verstorbenen erwähnt oder gedacht hatte, füllten sich, ohne daß sein Gesichtsausdruck sich verändert hätte, langsam seine Augen mit Thränen.
    Es war anders mit Christian. Er vermochte bei den naiven und kindlichen Ergüssen seiner Schwester schlechterdings nicht, seine Haltung zu bewahren; er bückte sich über seinen Teller, wandte sich ab, zeigte das Bedürfnis, sich zu verkriechen und unterbrach sie mehrere Male sogar mit einem leisen und gequälten: »Gott … Tony …«, wobei seine große Nase in unzählige Fältchen gezogen war.
    Ja, er legte Unruhe und Verlegenheit an den Tag, sobald das Gespräch sich dem Verstorbenen

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