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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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auf die Fensterscheiben. Er stand vor ihr, auf ein Bein gestützt, die Hände in den Hosentaschen, und ließ seine Augen auf ihr ruhen, ohne sie zu sehen, in Gedanken, und indem er langsam den Kopf hin und her bewegte.
    »Tony«, sagte er, »du machst mir nichts weiß. Ich habe es schon vorher gewußt, aber in deinen letzten Worten hast du dich verraten. Es ist gar nicht der Mann. Es ist die Stadt. Es ist gar nicht diese Albernheit auf der Himmelsleiter. Es ist das Ganze überhaupt. Du hast dich nicht akklimatisieren können. Sei aufrichtig.«
    »Da hast du recht, Thomas!« rief sie. Sie sprang sogar empor {424} dabei und wies ihm mit ausgestreckter Hand gerade ins Gesicht hinein. Ihr Gesicht war rot. Sie blieb in einer kriegerischen Haltung stehen, mit der einen Hand den Stuhl erfaßt, gestikulierte mit der anderen und hielt eine Rede, eine leidenschaftlich bewegte Rede, die unaufhaltsam hervorsprudelte. Der Konsul betrachtete sie tief erstaunt. Kaum, daß sie sich Zeit ließ, Atem zu schöpfen, so brausten und brodelten schon wieder neue Worte hervor. Ja, sie fand Worte, sie drückte Alles aus, was sich während dieser Jahre an Widerwillen in ihr gesammelt hatte: ein bißchen ungeordnet und verworren, aber sie drückte es aus. Es war eine Explosion, ein Ausbruch voll verzweifelter Ehrlichkeit … Hier entlud sich etwas, gegen das es keine Widerrede gab, etwas Elementares, worüber nicht mehr zu streiten war …
    »Da hast du recht, Thomas! Das sage du nur noch einmal! Ha, ich bemerke dir ausdrücklich, daß ich kein dummes Ding mehr bin und weiß, was ich vom Leben zu halten habe. Ich erstarre nicht mehr, wenn ich erfahre, daß es nicht immer ganz säuberlich zugeht darin. Ich habe Leute wie Thränen-Trieschke gekannt und bin mit Grünlich verheiratet gewesen und kenne unsere Suitiers hier in der Stadt. Ich bin keine Unschuld vom Lande, will ich dir sagen, und die Sache mit Bábett an und für sich und aus dem Zusammenhang genommen, hätte mich nicht auf und davon gejagt, das glaube mir! Sondern die Sache ist die, Thomas, daß es das Maß voll gemacht hat … und dazu gehörte nicht viel, denn es war eigentlich schon voll … schon lange voll … schon lange voll! Ein Nichts hätte es überfließen lassen und nun gar dies! Nun gar die Erkenntnis, daß ich mich nicht einmal in diesem Punkte auf Permaneder verlassen konnte! Das hat Allem die Krone aufgesetzt! Das hat dem Faß den Boden ausgeschlagen! Das hat meinen Entschluß, von München auf und davon zu gehen, mit einem Schlage zur Reife gebracht, und der war lange, lange im Reifen begriffen gewe {425} sen, Tom, denn ich kann dort unten nicht leben, bei Gott und seinen heiligen Heerscharen, ich kann es nicht!
Wie
unglücklich ich gewesen bin, du weißt es nicht, Thomas, denn auch, als du zu Besuch kamst, habe ich nichts merken lassen, nein, denn ich bin eine Frau von Takt, die Andere nicht mit Klagen belästigt und ihr Herz nicht an jedem Wochentage auf der Zunge trägt, und habe immer zur Verschlossenheit geneigt. Aber ich habe gelitten, Tom, gelitten mit Allem, was in mir ist, und sozusagen mit meiner ganzen Persönlichkeit. Wie eine Pflanze, um mich dieses Bildes zu bedienen, wie eine Blume, die in fremdes Erdreich verpflanzt worden … obgleich du den Vergleich wohl unpassend findest, denn ich bin ein häßliches Weib … aber in fremderes Erdreich konnte ich nicht kommen, und lieber ginge ich in die Türkei! Oh, wir sollten niemals fortgehen, wir hier oben! Wir sollten an unserer Seebucht bleiben und uns redlich nähren … Ihr habt euch zuweilen über meine Vorliebe für den Adel moquiert … ja, ich habe in diesen Jahren oft an einige Worte gedacht, die mir vor längerer Zeit einmal Jemand gesagt hat, ein gescheuter Mensch. ›Sie haben Sympathie für die Adligen …‹ sagte er, ›soll ich Ihnen sagen, warum? Weil Sie selbst eine Adlige sind! Ihr Vater ist ein großer Herr und Sie sind eine Prinzeß. Ein Abgrund trennt Sie von uns Anderen, die wir nicht zu Ihrem Kreise von herrschenden Familien gehören …‹ Ja, Tom, wir fühlen uns als Adel und fühlen einen Abstand und wir sollten nirgend zu leben versuchen, wo man nichts von uns weiß, und uns nicht einzuschätzen versteht, denn wir werden nichts als Demütigungen davon haben, und man wird uns lächerlich hochmütig finden. Ja, – Alle haben mich lächerlich hochmütig gefunden. Man hat es mir nicht gesagt, aber gefühlt habe ich es zu jeder Stunde und auch darunter habe ich gelitten.

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