Buddenbrooks
sehr ernsten Gesprächsgegenstand, der auf den Gesichtern der Damen Buddenbrook aus der Breitenstraße den Ausdruck kalter Zurückhaltung, in den Mienen und Gesten Frau Permaneders aber eine außerordentliche Erregung hervorrief. Sie sprach, zurückgelegten Hauptes und indem sie beide Arme zugleich vorwärts oder nach oben streckte, mit Zorn, mit Entrüstung, mit aufrichtiger, tiefgefühlter Empörung. Sie ging von dem besonderen Falle, um den es sich handelte, zum Allgemeinen über, sprach über schlechte Menschen überhaupt und ließ, unterbrochen von dem trockenen nervösen Räuspern, das mit ihrer Magenschwäche zusammenhing, mit einer gewissen Kehlkopf-Stimme, die ihr eigen war, wenn sie zürnte, kleine Trompetenstöße des Abscheus ertönen, die etwa klangen wie »Thränen-Trieschke –!« »Grünlich –!« »Permaneder –!« … Das Sonderbare aber war der neue Ruf, der hinzugekommen war, und den sie mit unbeschreiblicher Verachtung und Gehässigkeit hervorbrachte. Er lautete: »
Der Staatsanwalt
–!«
Wenn dann Direktor Hugo Weinschenk, verspätet wie immer, denn er war mit Geschäften überhäuft, den Saal betrat {577} und, mit balancierenden Fäusten sich ungewöhnlich lebhaft in der Taille seines Gehrockes wiegend, zu seinem Platze schritt, wobei seine Unterlippe unter dem schmalen Schnurrbart mit keckem Ausdruck hinabhing, so verstummte das Gespräch, so lagerte sich eine peinliche, schwüle Stille über der Tafel, bis der Senator allen aus der Verlegenheit half, indem er ganz leichthin und als handle es sich um irgend ein Geschäft, sich bei dem Direktor nach dem Stande der Angelegenheit erkundigte. Und Hugo Weinschenk antwortete, die Sachen ständen sehr gut, sie ständen, wie das nicht anders möglich sei, vortrefflich … worauf er leicht und fröhlich von etwas Anderem sprach. Er war viel aufgeräumter als früher, ließ seine Augen mit einer gewissen wilden Unbefangenheit umherschweifen und fragte viele Male, ohne Antwort zu erhalten, nach dem Befinden von Gerda Buddenbrooks Geige. Überhaupt plauderte er viel und munter, und unangenehm war nur der Umstand, daß er in seinem Freimut nicht immer genügend nach seinen Worten sah und vor übermäßig guter Laune hie und da Geschichten vorbrachte, die nicht ganz am Platze waren. Eine Anekdote zum Beispiel, die er erzählte, handelte von einer Amme, welche die Gesundheit des ihr anvertrauten Kindes dadurch beeinträchtigt hatte, daß sie an Blähungen litt; in einer Weise, die er ohne Zweifel für humoristisch hielt, ahmte er den Hausarzt nach, der gerufen hatte: »Wer stinkt hier so! Wer ist es, der hier so stinkt!« und spät oder nie bemerkte er, daß seine Gattin heftig errötet war, daß die Konsulin, Thomas und Gerda unbewegt dasaßen, die Damen Buddenbrook durchbohrende Blicke tauschten, selbst Rieckchen Severin am unteren Tischende beleidigt dareinblickte und höchstens der alte Konsul Kröger leise pruschte …
Was war es mit dem Direktor Weinschenk? Dieser ernste, thätige und kernhafte Mann, dieser Mann, der, abhold aller Geselligkeit, und von rauher Außenseite, mit zäher Pflichttreue nur seiner Arbeit zugethan war, – dieser Mann sollte nicht
ein
{578} Mal, nein, wiederholt sich eines schweren Fehltrittes schuldig gemacht haben, ja, er war angeklagt, gerichtlich angeklagt, mehrere Male ein geschäftliches Manöver ausgeführt zu haben, das nicht fragwürdig, sondern unreinlich und verbrecherisch zu nennen war, und ein Prozeß, dessen Ausgang nicht abzusehen, war gegen ihn im Gange! – Was wurde ihm zur Last gelegt? – Brände hatten an verschiedenen Orten stattgefunden, größere Feuersbrünste, die der Gesellschaft, welche den damit Betroffenen kontraktlich verbunden gewesen, große Summen gekostet haben würden. Direktor Weinschenk aber sollte, erst nachdem er durch seine Agenten rasche vertrauliche Mitteilung von den Unglücksfällen empfangen, also bewußt betrügerischer Weise, die Rückversicherungen bei einer anderen Gesellschaft vorgenommen und dieser so den Schaden zugeschoben haben. Nun lag die Sache in den Händen des Staatsanwaltes, des Staatsanwaltes Doktor Moritz Hagenström …
»Thomas«, sagte die Konsulin unter vier Augen zu ihrem Sohne, »ich bitte dich … ich verstehe nichts. Was soll ich von der Sache halten!«
Und er antwortete:
»Ja, meine liebe Mutter … Was läßt sich da sagen! Daß Alles ganz in Ordnung ist, muß man leider bezweifeln. Aber daß Weinschenk in dem Umfange schuldig ist,
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