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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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vorläufig keineswegs die Richtung einschlug, die er ihr zu geben wünschte. Hätte er seine Erziehung in die Hand nehmen, täglich und stündlich auf seinen Geist wirken können! Aber die Zeit fehlte ihm dazu, und mit Schmerz mußte er sehen, wie gelegentliche Versuche dazu kläglich mißlangen und das Verhältnis zwischen Vater und Kind nur kälter und fremder machten. Ein Bild schwebte ihm vor, nach dem er seinen Sohn zu modeln sich sehnte: das Bild von Hannos Urgroßvater, wie er selbst ihn als Knabe gekannt – ein heller Kopf, jovial, einfach, humoristisch und stark … Konnte er so nicht werden? War das unmöglich? Und warum? … Hätte er wenigstens die Musik unterdrücken und verbannen können, die den Jungen dem praktischen Leben entfremdete, seiner körperlichen Gesundheit sicherlich nicht nützlich war und seine Geisteskräfte absorbierte! Grenzte sein träumerisches Wesen nicht manchmal geradezu an Unzurechnungsfähigkeit?
    Eines Nachmittags war Hanno drei Viertelstunden vorm Essen, das um vier Uhr stattfand, allein in die erste Etage hinabgestiegen. Er hatte eine Zeit lang am Flügel geübt und hielt sich nun müßig im Wohnzimmer auf. Halb liegend saß er auf der Chaiselongue, nestelte an dem Schifferknoten auf seiner Brust, und indem seine Augen, ohne etwas zu suchen, seitwärts glitten, gewahrte er auf dem zierlichen Nußholzschreibtisch seiner Mutter eine offene Ledermappe – die Mappe mit den Familienpapieren. Er stützte den Ellenbogen auf das Rückenpolster und das Kinn in die Hand und betrachtete die Sachen ein Weilchen aus der Ferne. Ohne Zweifel hatte Papa sich heute nach dem zweiten Frühstück damit beschäftigt und sie zu weiterem Gebrauche liegen lassen. Einiges stak in der Mappe, lose Blätter, die draußen lagen, waren vorläufig mit einem metallenen Lineal beschwert, das große Schreibheft mit goldnem Schnitt und verschiedenartigem Papier lag offen da.
    {575} Hanno glitt nachlässig von der Ottomane hinunter und ging zum Schreibtisch. Das Buch war an jener Stelle aufgeschlagen, wo, in den Handschriften mehrerer seiner Vorfahren und zuletzt in der seines Vaters, der ganze Stammbaum der Buddenbrooks mit Klammern und Rubriken in übersichtlichen Daten geordnet war. Mit einem Bein auf dem Schreibsessel knieend, das weich gewellte hellbraune Haar in die flache Hand gestützt, musterte Hanno das Manuskript, ein wenig von der Seite, mit dem matt-kritischen und ein bißchen verächtlichen Ernste einer vollkommenen Gleichgültigkeit und ließ seine freie Hand mit Mamas Federhalter spielen, der halb aus Gold und halb aus Ebenholz bestand. Seine Augen wanderten über all diese männlichen und weiblichen Namen hin, die hier unter- und nebeneinander standen, zum Teile in altmodisch verschnörkelter Schrift mit weit ausladenden Schleifen, in gelblich verblaßter oder stark aufgetragener schwarzer Tinte, an der Reste von Goldstreusand klebten … Er las auch, ganz zuletzt, in Papas winziger, geschwind über das Papier eilender Schrift, unter denen seiner Eltern, seinen eigenen Namen – Justus,
Johann,
Kaspar, geb. d. 15. April 1861 – was ihm einigen Spaß machte, richtete sich dann ein wenig auf, nahm mit nachlässigen Bewegungen Lineal und Feder zur Hand, legte das Lineal unter seinen Namen, ließ seine Augen noch einmal über das ganze genealogische Gewimmel hingleiten: und hierauf, mit stiller Miene und gedankenloser Sorgfalt, mechanisch und verträumt, zog er mit der Goldfeder einen schönen, sauberen Doppelstrich quer über das ganze Blatt hinüber, die obere Linie ein wenig stärker als die untere, so, wie er jede Seite seines Rechenheftes verzieren mußte … Dann legte er einen Augenblick prüfend den Kopf auf die Seite und wandte sich ab.
    Nach Tische rief der Senator ihn zu sich und herrschte ihn mit zusammengezogenen Brauen an.
    »Was ist das. Woher kommt das. Hast du das gethan?«
    {576} Er mußte sich einen Augenblick besinnen, ob er es gethan habe, und dann sagte er schüchtern und ängstlich: »Ja.«
    »Was heißt das! Was ficht dich an! Antworte! Wie kommst du zu dem Unfug!« rief der Senator, indem er mit dem leicht zusammengerollten Heft auf Hannos Wange schlug.
    Und der kleine Johann, zurückweichend, stammelte, indem er mit der Hand nach seiner Wange fuhr:
    »Ich glaubte … ich glaubte … es käme nichts mehr …«

8.
    Donnerstags, wenn die Familie, umgeben von den ruhevoll lächelnden Götterstatuen der Tapete, beim Essen saß, gab es seit Kurzem einen neuen,

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