Buddenbrooks
Juristen aber, Herren, die nach seiner eigenen Meinung von diesen Dingen gar nichts verstanden, die {707} unter ganz anderen Begriffen und in einer ganz anderen Weltanschauung lebten, hatten ihn wegen Betruges verurteilt, und dieser Spruch, dem die staatliche Macht zur Seite stand, hatte seine Selbstschätzung dermaßen zu erschüttern vermocht, daß er Niemandem mehr ins Angesicht zu blicken wagte. Sein federnder Gang, die unternehmende Art, mit der er sich in der Taille seines Gehrockes gewiegt, mit den Fäusten balanciert und die Augen gerollt hatte, die ungemeine Frische, mit der er von der Höhe seiner Unwissenheit und Unbildung herab seine Fragen und Erzählungen zum Besten gegeben hatte, – Alles war dahin! Es war so sehr dahin, daß den Seinen vor so viel Gedrücktheit, Feigheit und dumpfer Würdelosigkeit graute.
Nachdem Herr Hugo Weinschenk acht oder zehn Tage lang sich lediglich mit Rauchen beschäftigt hatte, fing er an, Zeitungen zu lesen und Briefe zu schreiben. Und dies hatte nach dem Verlaufe weiterer acht oder zehn Tage zur Folge, daß er in unbestimmten Wendungen erklärte, in London scheine sich ihm eine neue Position zu bieten, doch wolle er zunächst allein dorthin reisen, um die Sache persönlich zu regeln und erst, wenn Alles in Richtigkeit sei, Frau und Kind zu sich zu rufen.
Er fuhr, von Erika begleitet, in geschlossenem Wagen zum Bahnhof und reiste ab, ohne irgend einen seiner übrigen Verwandten noch einmal gesehen zu haben.
Einige Tage später traf, noch aus Hamburg, ein an seine Gattin gerichtetes Schreiben ein, in welchem er zu wissen that, er sei entschlossen, sich keinesfalls eher mit Frau und Kind zu vereinigen oder auch nur von sich hören zu lassen, als bis er ihnen eine angemessene Existenz werde bieten können. Und dies war Hugo Weinschenks letztes Lebenszeichen. Niemand vernahm seitdem das Geringste von ihm. Obgleich später Frau Permaneder, versiert in solchen Dingen und voll umsichtiger Thatkraft wie sie war, mehrere Aufrufe nach ihrem Schwiegersohn ergehen ließ, um, wie sie mit wichtiger Miene erklärte, der {708} Scheidungsklage wegen böswilligen Verlassens eine volle Begründung zu geben, war und blieb er verschollen, und so kam es, daß Erika Weinschenk mit der kleinen Elisabeth nach wie vor bei ihrer Mutter in der hellen Etage am »Lindenplatze« verblieb.
5.
Die Ehe, aus welcher der kleine Johann hervorgegangen war, hatte, als Gesprächsgegenstand genommen, in der Stadt niemals an Reiz verloren. So gewiß wie jedem der beiden Gatten etwas Extravagantes und Rätselhaftes eigen war, so gewiß trug diese Ehe selbst den Charakter des Ungewöhnlichen und Fragwürdigen. Hier ein wenig hinters Licht zu kommen und, abgesehen von den dürftigen, äußeren Thatsachen, dem Verhältnis ein wenig auf den Grund zu gehen, schien eine schwierige, aber lohnende Aufgabe … Und in Wohn- und Schlafstuben, in Klubs und Kasinos, ja selbst an der Börse sprachen die Leute über Gerda und Thomas Buddenbrook desto mehr, je weniger sie von ihnen wußten.
Wie hatten diese Beiden sich gefunden, und wie standen sie zu einander? Man erinnerte sich der jähen Entschlossenheit, mit der vor achtzehn Jahren der damals dreißigjährige Thomas Buddenbrook zu Werke gegangen war. »Diese oder Keine«, das war sein Wort gewesen, und es mußte sich mit Gerda wohl ähnlich verhalten haben, denn sie hatte in Amsterdam bis zu ihrem siebenundzwanzigsten Jahre Körbe ausgeteilt und diesen Bewerber alsbald erhört. Eine Liebesheirat also, dachten die Leute in ihrem Sinne; denn so schwer es ihnen wurde, mußten sie einräumen, daß Gerdas Dreihunderttausend doch wohl nur eine Rolle zweiten Ranges bei der Sache gespielt hatten. Allein von Liebe wiederum, von Dem, was man unter Liebe verstand, war zwischen den Beiden von Anbeginn höchst wenig zu spüren gewesen. Von Anbeginn vielmehr hatte man nichts als {709} Höflichkeit in ihrem Umgang konstatiert, eine zwischen Gatten ganz außerordentliche, korrekte und respektvolle Höflichkeit, die aber unverständlicherweise nicht aus innerer Fernheit und Fremdheit, sondern aus einer sehr eigenartigen, stummen und tiefen gegenseitigen Vertrautheit und Kenntnis, einer beständigen gegenseitigen Rücksicht und Nachsicht hervorzugehen schien. Daran hatten die Jahre nicht das Geringste geändert. Die Änderung, die sie hervorgebracht hatten, bestand nur darin, daß jetzt der Altersunterschied der Beiden, so selten geringfügig er den Jahren nach war, anfing, in
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