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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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geübt hatte. Er ging umher und erinnerte sich des einigen und persönlichen Gottes, des Vaters der Menschenkinder, der einen persönlichen Teil seines Selbst auf die Erde entsandt hatte, damit er für uns {728} leide und blute, der am jüngsten Tage Gericht halten würde, und zu dessen Füßen die Gerechten im Laufe der dann ihren Anfang nehmenden Ewigkeit für die Kümmernisse dieses Jammerthales entschädigt werden würden … Dieser ganzen, ein wenig unklaren und ein wenig absurden Geschichte, die aber kein Verständnis, sondern nur gehorsamen Glauben beanspruchte, und die in feststehenden und kindlichen Worten zur Hand sein würde, wenn die letzten Ängste kamen … Wirklich?
    Ach, auch hierin gelangte er nicht zum Frieden. Dieser Mann mit seiner nagenden Sorge um die Ehre seines Hauses, um seine Frau, seinen Sohn, seinen Namen, seine Familie, dieser abgenutzte Mann, der seinen Körper mit Mühe und Kunst elegant, korrekt und aufrecht erhielt, er plagte sich mehrere Tage mit der Frage, wie es nun eigentlich bestellt sei: ob nun eigentlich die Seele unmittelbar nach dem Tode in den Himmel gelange, oder ob die Seligkeit erst mit der Auferstehung des Fleisches beginne … Und wo blieb die Seele bis dahin? Hatte ihn jemals jemand in der Schule oder der Kirche darüber belehrt? Wie war es verantwortbar, den Menschen in einer solchen Unwissenheit zu lassen? – Und er war darauf und daran, Pastor Pringsheim zu besuchen und ihn um Rat und Trost anzugehen, bis er es im letzten Augenblick aus Furcht vor der Lächerlichkeit unterließ.
    Endlich gab er Alles auf und stellte Alles Gott anheim. Da er aber mit der Ordnung seiner ewigen Angelegenheiten zu einem so unbefriedigenden Schluß gekommen war, so beschloß er, zum Wenigsten einmal seine irdischen gewissenhaft zu bestellen, womit er einen lange gehegten Vorsatz zur Ausführung bringen würde.
    Eines Tages vernahm der kleine Johann nach dem Mittagessen, im Wohnzimmer, wo die Eltern ihren Kaffee tranken, wie sein Vater der Mama die Mitteilung machte, er erwarte heute den Rechtsanwalt Doktor Soundso, um mit ihm sein Testament zu machen, dessen Fixierung er nicht beständig ins Un {729} gewisse hinausschieben dürfe. Später übte Hanno im Salon eine Stunde lang auf dem Flügel. Als er aber dann über den Korridor gehen wollte, traf er mit seinem Vater und einem Herrn in langem, schwarzem Überrock zusammen, welche die Haupttreppe heraufkamen.
    »Hanno!« sagte der Senator kurz. Und der kleine Johann blieb stehen, schluckte hinunter und antwortete leise und eilig:
    »Ja, Papa …«
    »Ich habe mit diesem Herrn Wichtiges zu arbeiten«, fuhr sein Vater fort. »Du stellst dich, wenn ich bitten darf, vor diese Thür« – er wies auf den Eingang zum Rauchzimmer – »und giebst acht, daß niemand, hörst du? absolut niemand uns stört.«
    »Ja, Papa«, sagte der kleine Johann und stellte sich vor die Thür, die sich hinter den beiden Herren schloß.
    Er stand dort, hielt mit einer Hand den Schifferknoten auf seiner Brust erfaßt, scheuerte seine Zunge an einem Zahne, dem er mißtraute, und horchte auf die ernsten und gedämpften Stimmen, die aus dem Inneren des Zimmers zu ihm drangen. Sein Kopf mit dem lockig in die Schläfen fallenden hellbraunen Haar war zur Seite geneigt, und unter zusammengezogenen Brauen blickten seine goldbraunen, von bläulichen Schatten umlagerten Augen blinzelnd, mit einem abgestoßenen und grüblerischen Ausdruck zur Seite, einem Ausdruck, ganz ähnlich demjenigen, mit dem er an der Bahre seiner Großmutter den Blumengeruch und jenen anderen, fremden und doch so seltsam vertrauten Duft eingeatmet hatte.
    Ida Jungmann kam und sagte:
    »Hannochen, mein Jungchen, wo bleibst du, was wirst du hier herumzustehen haben!«
    Der bucklige Lehrling kam aus dem Comptoir, eine Depesche in der Hand, und fragte nach dem Senator.
    Und jedes Mal streckte der kleine Johann seinen Arm in dem blauen mit einem Anker bestickten Matrosenärmel wagerecht {730} vor der Thür aus, schüttelte den Kopf und sagte nach einem Augenblicke des Schweigens leise und fest:
    »Niemand darf hinein. – Papa macht sein Testament.«

6.
    Im Herbst sagte Doktor Langhals, indem er seine schönen Augen spielen ließ wie eine Frau:
    »Die Nerven, Herr Senator … an Allem sind bloß die Nerven schuld. Und hie und da läßt auch die Blutzirkulation ein wenig zu wünschen übrig. Darf ich mir einen Ratschlag erlauben? Sie sollten sich dieses Jahr noch ein bißchen ausspannen! Diese

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