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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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nachlässigen Laute verzerrte. Dann begann er, während um ihn her Alles halblaut plauderte, sich präparierte, gähnte und lachte, stillschweigend in dem Klassenbuch zu arbeiten, indem er die Feder auf unvergleichlich korrekte Art mit schlank und gerade ausgestreckten Fingern handhabte.
    Nach Verlauf von zwei Minuten wurden draußen Schritte laut, die Inhaber der vorderen Bänke erhoben sich ohne Eile von ihren Plätzen, und weiter hinten folgte Dieser und Jener ihrem Beispiel, während andere sich in ihren Beschäftigungen nicht stören ließen und kaum Notiz davon nahmen, daß Herr Oberlehrer Ballerstedt ins Zimmer kam, seinen Hut an die Thür hängte und sich zum Katheder begab.
    Er war ein Vierziger von sympathischem Embonpoint, mit großer Glatze, rötlich-gelbem, kurz gehaltenem Vollbart, rosigem Teint und einem Mischausdruck von Salbung und be {786} haglicher Sinnlichkeit um die feuchten Lippen. Er nahm sein Notizbuch zur Hand und blätterte schweigend darin; da aber die Ruhe in der Klasse Vieles zu wünschen übrig ließ, erhob er den Kopf, streckte den Arm auf der Pultplatte aus und bewegte, während sein Gesicht langsam so dunkelrot anschwoll, daß sein Bart hellgelb erschien, seine schwache und weiße Faust ein paar Mal kraftlos auf und nieder, wobei seine Lippen eine halbe Minute lang krampfhaft und fruchtlos arbeiteten, um schließlich nichts hervorzubringen, als ein kurzes, gepreßtes und ächzendes »Nun …« Dann rang er noch eine Weile nach ferneren Ausdrücken des Tadels, wandte sich schließlich wieder seinem Notizbuch zu, schwoll ab und gab sich zufrieden. Dies war so Oberlehrer Ballerstedts Art und Weise.
    Er hatte ehemals Prediger werden wollen, war dann jedoch durch seine Neigung zum Stottern wie durch seinen Hang zu weltlichem Wohlleben bestimmt worden, sich lieber der Pädagogik zuzuwenden. Er war Junggeselle, besaß einiges Vermögen, trug einen kleinen Brillanten am Finger und war dem Essen und Trinken herzlich zugethan. Er war derjenige Oberlehrer, der nur dienstlich mit seinen Standesgenossen, im Übrigen aber vorwiegend mit der unverheirateten kaufmännischen Lebewelt der Stadt, ja auch mit den Offizieren der Garnison verkehrte, täglich zweimal im ersten Gasthause speiste und Mitglied des »Klubs« war. Begegnete er größeren Schülern nachts um zwei oder drei Uhr irgendwo in der Stadt, so schwoll er an, brachte einen »Guten Morgen« zustande und ließ die Sache für beide Teile auf sich beruhen … Hanno Buddenbrook hatte nichts von ihm zu befürchten und wurde fast nie von ihm gefragt. Der Oberlehrer hatte sich mit seinem Onkel Christian allzu oft in allzu rein menschlicher Weise zusammengefunden, als daß es ihn hätte freuen können, mit dem Neffen in dienstliche Konflikte zu geraten …
    »Nun …« sagte er abermals, sah in der Klasse umher, bewegte {787} wieder seine schwach geballte Faust mit dem kleinen Brillanten und blickte in sein Notizbuch. »Perlemann. Die Übersicht.«
    Irgendwo in der Klasse erhob sich Perlemann. Man merkte es kaum, daß er emporstieg. Es war Einer von den Kleinen, Vorgeschrittenen. »Die Übersicht«, sagte er leise und artig, indem er mit ängstlichem Lächeln den Kopf vorstreckte. »Das Buch Hiob zerfällt in drei Teile. Erstens der Zustand Hiobs ehe er in das Kreuz oder Züchtigung des Herrn geraten; Kapitel I, Vers eins bis sechs. Zweitens das Kreuz selbst und was sich dabei zugetragen; Kapitel …«
    »Es war richtig, Perlemann«, unterbrach ihn Herr Ballerstedt, gerührt von soviel zager Willfährigkeit, und schrieb eine gute Note in sein Taschenbuch. »Heinricy, fahren Sie fort.«
    Heinricy war einer von den langen Schlingeln, die sich um gar nichts mehr kümmerten. Er schob das grifffeste Messer, mit dem er sich beschäftigt hatte, in die Hosentasche, stand geräuschvoll auf, ließ die Unterlippe hängen, und räusperte sich mit rauher und roher Männerstimme. Alle waren unzufrieden, daß nun er statt des sanften Perlemann an die Reihe kam. Die Schüler träumten und brüteten in der warmen Stube unter den leise sausenden Gasflammen im Halbschlafe vor sich hin. Alle waren müde vom Sonntag, und Alle waren an dem kalten Nebelmorgen seufzend und mit klappernden Zähnen aus den warmen Betten gekrochen. Jedem wäre es lieb gewesen, wenn der kleine Perlemann die ganze Stunde lang weitergesäuselt hätte, während Heinricy nun sicherlich Streit machen würde …
    »Ich habe gefehlt, als dies durchgenommen wurde«, sagte er mit grober

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