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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Dienstboten und allerlei alte und arme Leute, denen der Konsul die blauroten Hände drückte, sich in der Säulenhalle drängten, dann erscholl dort draußen vierstimmiger Gesang, den die Chorknaben der Marienkirche vollführten, und man bekam Herzklopfen, so festlich war es. Dann, während schon durch die Spalten der hohen, weißen Flügelthür der Tannenduft drang, verlas die Konsulin aus der alten Familienbibel mit den ungeheuerlichen Buchstaben langsam das Weihnachtskapitel, und war draußen noch ein Gesang verklungen, so stimmte man »O Tannebaum« an, während man sich in feierlichem Umzuge durch die Säulenhalle in den Saal begab, den weiten Saal mit den Statuen in der Tapete, wo der mit weißen Lilien geschmückte Baum flimmernd, leuchtend und duftend zur Dekke ragte und die Geschenktafel von den Fenstern bis zur Thür reichte. Aber draußen, auf dem hartgefrorenen Schnee der Stra {99} ßen musizierten die italienischen Drehorgelmänner, und vom Marktplatz scholl der Trubel des Weihnachtsmarktes herüber. Außer der kleinen Clara beteiligten sich auch die Kinder an dem späten Abendessen in der Säulenhalle, bei dem es Karpfen und gefüllten Puter in übergewaltigen Mengen gab …
    Hier ist zu erwähnen, daß Tony Buddenbrook in diesen Jahren zwei mecklenburgische Güter besuchte. Ein paar Sommerwochen verlebte sie mit ihrer Freundin Armgard auf dem Besitztum des Herrn von Schilling, das Travemünde gegenüber jenseits der Bucht an der Küste lag. Und ein anderes Mal reiste sie mit Cousine Thilda dorthin, wo Herr Bernhardt Buddenbrook Inspektor war. Dieses Gut hieß »Ungnade« und brachte nicht einen Heller ein; aber als Ferienaufenthalt war es trotzdem nicht zu verachten.
    So wanderten die Jahre vorbei, und es war, alles in allem, eine glückliche Jugendzeit, die Tony verlebte.

{100} Dritter Teil.
    (Meiner Schwester Julia sei dieser Teil
    zur Erinnerung an unsere Ostseebucht von Herzen zugeeignet.)

1.
    Kurz nach 5 Uhr, eines Juni-Nachmittages, saß man vor dem »Portale« im Garten, woselbst man Kaffee getrunken hatte. Drinnen in dem weißgetünchten Raum des Gartenhauses mit dem hohen Wandspiegel, dessen Fläche mit flatternden Vögeln bemalt war, und den beiden lackierten Flügelthüren im Hintergrunde, die genau betrachtet gar keine Thüren waren und nur gemalte Klinken besaßen, war die Luft zu warm und dumpfig, und man hatte die aus knorrigem, gebeiztem Holze leicht gearbeiteten Möbel hinausgestellt.
    Im Halbkreise saßen der Konsul, seine Gattin, Tony, Tom und Klothhilde um den runden gedeckten Tisch, auf dem das benutzte Service schimmerte, während Christian, ein wenig seitwärts, mit einem unglücklichen Gesichtsausdruck Ciceros zweite Catilinarische Rede präparierte. Der Konsul war mit seiner Cigarre und den »Anzeigen« beschäftigt. Die Konsulin hatte ihre Seidenstickerei sinken lassen und sah lächelnd der kleinen Clara zu, die mit Ida Jungmann auf dem Rasenplatze Veilchen suchte, denn es gab zuweilen Veilchen dort. Tony hatte den Kopf in beide Hände gestützt und las versunken in Hoffmanns »Serapionsbrüdern«, während Tom sie mit einem Grashalm ganz vorsichtig im Nacken kitzelte, was sie aus Klugheit aber durchaus nicht bemerkte. Und Klothhilde, die mager und ältlich in ihrem geblümten Kattunkleide dasaß, las eine Erzählung, welche den Titel trug: »Blind, taub, stumm und dennoch glückselig«; zwischendurch schabte sie die Biskuitreste auf dem Tischtuche zusammen, worauf sie das Häufchen mit allen fünf Fingern ergriff und behutsam verzehrte.
    {101} Der Himmel, an dem unbeweglich ein paar weiße Wolken standen, begann langsam blasser zu werden. Das Stadtgärtchen lag mit symmetrisch angelegten Wegen und Beeten bunt und reinlich in der Nachmittagssonne. Der Duft der Reseden, die die Beete umsäumten, kam dann und wann durch die Luft daher.
    »Na, Tom«, sagte der Konsul gutgelaunt und nahm die Cigarre aus dem Mund; »die Roggenangelegenheit mit van Henkdom & Comp., von der ich dir erzählte, arrangiert sich.«
    »Was giebt er?« fragte Thomas interessiert und hörte auf, Tony zu plagen.
    »Sechzig Thaler für tausend Kilo … nicht übel, wie?«
    »Das ist vorzüglich!« Tom wußte, daß dies ein sehr gutes Geschäft war.
    »Tony, deine Haltung ist nicht comme il faut«, bemerkte die Konsulin, worauf Tony, ohne die Augen von ihrem Buche zu erheben, einen Ellbogen vom Tische nahm.
    »Das schadet nichts«, sagte Tom. »Sie kann sitzen, wie sie will, sie bleibt immer Tony

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