Buddenbrooks
schwache Menschen, und du bist, verzeih mir, wahrlich die letzte, die einen Stein aufheben dürfte … Tom, an die Arbeit!«
Tony aber murmelte vor sich hin: »Ein goldgelber Backenbart!« und dabei zog sie die Brauen zusammen, wie sie es schon mehrere Male gethan hatte.
{109} 2.
»Wie aufrichtig betrübt war ich, mein Fräulein, Sie zu verfehlen!« sprach Herr Grünlich einige Tage später, als Tony, die von einem Ausgang zurückkehrte, an der Ecke der Breiten- und Mengstraße mit ihm zusammentraf. »Ich erlaubte mir, Ihrer Frau Mama meine Aufwartung zu machen, und ich vermißte Sie schmerzlich … Wie entzückt aber bin ich, Sie nun doch noch zu treffen!«
Fräulein Buddenbrook war stehen geblieben, da Herr Grünlich zu sprechen begann; aber ihre Augen, die sie halb geschlossen hatte, und die plötzlich dunkel wurden, richteten sich nicht höher, als auf Herrn Grünlichs Brust, und um ihren Mund lag das spöttische und vollkommen unbarmherzige Lächeln, mit dem ein junges Mädchen einen Mann mißt und verwirft … Ihre Lippen bewegten sich – was sollte sie antworten? Ha! es mußte ein Wort sein, das diesen Bendix Grünlich ein für allemal zurückschleuderte, vernichtete … aber es mußte ein gewandtes, witziges, schlagendes Wort sein, das ihn zugleich spitzig verwundete und ihm imponierte …
»Das ist nicht gegenseitig!« sagte sie, immer den Blick auf Herrn Grünlichs Brust geheftet; und nachdem sie diesen fein vergifteten Pfeil abgeschossen, ließ sie ihn stehen, legte den Kopf zurück und ging rot vor Stolz über ihre sarkastische Redegewandtheit nach Hause, woselbst sie erfuhr, daß Herr Grünlich zum nächsten Sonntag auf einen Kalbsbraten gebeten sei …
Und er kam. Er kam in einem nicht ganz neumodischen aber feinen, glockenförmigen und faltigen Gehrock, der ihm einen Anstrich von Ernst und Solidität verlieh, – rosig übrigens und lächelnd, das spärliche Haar sorgfältig gescheitelt und mit duftig frisierten Favoris. Er aß Muschelragout, Julienne-Suppe, gebackene Seezungen, Kalbsbraten mit Rahmkartoffeln und {110} Blumenkohl, Marasquino-Pudding und Pumpernickel mit Roquefort und fand bei jedem Gerichte einen neuen Lobspruch, den er mit Delikatesse vorzubringen verstand. Er hob zum Beispiel seinen Dessertlöffel empor, blickte eine Statue der Tapete an und sprach laut zu sich selbst: »Gott verzeihe mir, ich kann nicht anders; ich habe ein großes Stück genossen, aber dieser Pudding ist gar zu prächtig gelungen; ich
muß
die gütige Wirtin noch um ein Stückchen ersuchen!« Worauf er der Konsulin schalkhaft zublinzelte. Er sprach mit dem Konsul über Geschäfte und Politik, wobei er ernste und tüchtige Grundsätze an den Tag legte, er plauderte mit der Konsulin über Theater, Gesellschaften und Toiletten; er hatte auch für Tom, Christian und die arme Klothhilde, ja selbst für die kleine Clara und Mamsell Jungmann liebenswürdige Worte … Tony verhielt sich schweigsam, und er seinerseits unternahm es nicht, sich ihr zu nähern, sondern betrachtete sie nur dann und wann mit seitwärts geneigtem Kopfe und einem Blick, in dem sowohl Betrübnis wie Ermunterung lag.
Als Herr Grünlich sich an diesem Abend verabschiedete, hatte er den Eindruck verstärkt, den sein erster Besuch hervorgebracht. »Ein vollkommen erzogener Mann«, sagte die Konsulin. »Ein christlicher und achtbarer Mensch«, sagte der Konsul. Christian konnte seine Bewegungen und Sprache nun noch besser nachahmen, und Tony sagte mit finsteren Brauen gute Nacht, denn sie ahnte undeutlich, daß sie diesen Herrn, der sich mit so ungewöhnlicher Schnelligkeit die Herzen ihrer Eltern erobert hatte, nicht zum letzten Mal gesehen habe.
In der That, sie fand Herrn Grünlich, wenn sie nachmittags von einem Besuche, einer Mädchengesellschaft zurückkehrte, eingenistet im Landschaftszimmer, woselbst er der Konsulin aus Walter Scott's »Waverley« vorlas – und zwar mit mustergültiger Aussprache, denn die Reisen im Dienste seines regen Geschäftes hatten ihn, wie er berichtete, auch nach England {111} geführt. Tony setzte sich seitab mit einem anderen Buche, und Herr Grünlich fragte mit weicher Stimme: »Es entspricht wohl nicht Ihrem Geschmacke, mein Fräulein, was ich lese?« Worauf sie mit zurückgeworfenem Kopf etwas recht spitzig Sarkastisches erwiderte, wie zum Beispiel: »Nicht im Geringsten!«
Aber er ließ sich nicht stören, er begann, von seinen zu früh verstorbenen Eltern zu erzählen und berichtete von
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