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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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als bei einer Balltoilette. Heute aber trug sie das dunkelrote Morgenkleid, dessen Farbe genau mit dem Tone der Tapete über der Holztäfelung übereinstimmte und dessen großgeblümter Stoff, weicher als Watte, überall mit einem Sprühregen ganz winziger Glasperlchen von der selben Färbung durchwirkt war … Eine gerade und dichte Reihe von roten Sammetschleifen lief vom Halsverschluß bis zum Saume hinunter.
    Ihr starkes aschblondes Haar, mit einer dunkelroten Sammetschleife geschmückt, war über der Stirn gelockt. Obgleich, wie sie selbst wohl wußte, ihr Äußeres seinen Höhepunkt bereits erreicht hatte, war der kindliche, naive und kecke Ausdruck ihrer etwas hervorstehenden Oberlippe derselbe geblieben, wie ehemals. Die Lider ihrer graublauen Augen waren vom kalten Wasser gerötet. Ihre Hände, die weißen, ein wenig kurzen, aber feingegliederten Hände der Buddenbrooks, deren zarte Gelenke von den Sammet-Revers der Ärmel weich umschlossen wurden, handhabten Messer, Löffel und Tasse mit Bewegungen, die heute aus irgend einem Grunde ein wenig abrupt und hastig waren.
    Neben ihr, in einem turmartigen Kinderstuhl und bekleidet mit einem aus dicker hellblauer Wolle gestrickten, formlosen und drolligen Röckchen, saß die kleine Erika, ein wohlgenährtes Kind mit kurzen hellblonden Locken. Sie hielt mit beiden Händchen eine große Tasse umklammert, in der ihr Gesichtchen völlig verschwand, und schluckte ihre Milch, indem sie hie und da kleine, hingebende Seufzer vernehmen ließ.
    Hierauf klingelte Frau Grünlich, und Thinka, das Folgmädchen, trat vom Korridor ein, um das Kind aus dem Turm zu heben, und es hinauf in die Spielstube zu tragen.
    {217} »Du kannst sie eine halbe Stunde draußen spazierenfahren, Thinka«, sagte Tony. »Aber nicht länger, und in der dickeren Jacke, hörst du? … Es nebelt.« – Sie blieb mit ihrem Gatten allein.
    »Du machst dich ja lächerlich«, sagte sie nach einigem Stillschweigen, indem sie ersichtlich ein unterbrochenes Gespräch wieder aufnahm … »Hast du Gegengründe? Gieb doch Gegengründe an! … Ich
kann
mich nicht immer um das Kind bekümmern …«
    »Du bist nicht kinderlieb, Antonie.«
    »Kinderlieb … kinderlieb … Es fehlt mir an Zeit! Der Haushalt nimmt mich in Anspruch! Ich wache mit zwanzig Gedanken auf, die tagsüber auszuführen sind, und gehe mit vierzig zu Bett, die noch nicht ausgeführt sind …«
    »Es sind zwei Mädchen da. Eine so junge Frau …«
    »Zwei Mädchen, gut. Thinka hat abzuwaschen, zu putzen, reinzumachen, zu bedienen. Die Köchin ist über und über beschäftigt. Du ißt schon am frühen Morgen Koteletts … Denke doch nach, Grünlich! Erika muß über Kurz oder Lang jedenfalls eine Bonne, eine Erzieherin haben …«
    »Es entspricht nicht unseren Verhältnissen, ihr schon jetzt ein eigenes Kindermädchen zu halten.«
    »Unseren Verhältnissen! … O Gott, du
machst
dich lächerlich! Sind wir denn Bettler? Sind wir gezwungen, uns das Notwendigste abgehen zu lassen? Meines Wissens habe ich dir achtzigtausend Mark in die Ehe gebracht …«
    »Ach, mit deinen achtzigtausend!«
    »Gewiß! … Du sprichst geringschätzig davon … Es kam dir nicht darauf an … Du hast mich aus Liebe geheiratet … Gut. Aber liebst du mich überhaupt noch? Du gehst über meine berechtigten Wünsche hinweg. Das Kind soll kein Mädchen haben … Von dem Coupé, das uns nötig ist, wie das tägliche Brot, ist überhaupt keine Rede mehr … Warum läßt du uns {218} dann beständig auf dem Lande wohnen, wenn es unseren
Verhältnissen
nicht
entspricht
, einen Wagen zu halten, in dem wir anständiger Weise in Gesellschaft fahren können? Warum siehst du es niemals gern, daß ich in die Stadt komme? … Am liebsten möchtest du, daß wir uns hier ein für alle Male vergrüben, und daß ich keinen Menschen mehr zu Gesichte bekäme. Du bist sauertöpfig!«
    Herr Grünlich goß sich Rotwein ins Glas, erhob die Kristallglocke und ging zum Käse über. Er antwortete durchaus nicht.
    »Liebst du mich überhaupt noch?« wiederholte Tony … »Dein Schweigen ist so ungezogen, daß ich mir sehr wohl erlauben darf, dich an einen gewissen Auftritt in unserem Landschaftszimmer zu erinnern … Damals machtest du eine andere Figur! … Vom ersten Tage an hast du nur abends bei mir gesessen, und das nur, um die Zeitung zu lesen. Anfangs nahmst du wenigstens einige Rücksicht auf meine Wünsche. Aber seit langer Zeit ist es auch damit zu Ende. Du

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