Buddenbrooks
hat Sie nicht verletzt, wie, Schwiegervater?«
Der alte Kröger schwieg, er schwieg beängstigend. Es war zu dunkel im Wagen, um den Ausdruck seines Gesichtes zu unterscheiden. Gerader, höher, steifer noch, denn zuvor, saß er, ohne das Rückenpolster zu berühren. Dann aber kam es ganz tief aus ihm heraus … langsam, kalt und schwer, ein einziges Wort:
»Die Canaille.«
Aus Besorgnis, ihn noch mehr zu reizen, antwortete der Konsul nicht. Der Wagen rollte mit hallendem Geräusch durch {214} das Thor und befand sich drei Minuten später in der breiten Allee vor dem mit vergoldeten Spitzen versehenen Gatter, welches das Krögersche Besitztum begrenzte. Zu beiden Seiten der breiten Gartenpforte, die den Eingang zu einer mit Kastanien besetzten Anfahrt zur Terrasse bildete, brannten hell zwei Laternen mit vergoldeten Knöpfen auf ihren Deckeln. Der Konsul entsetzte sich, als er hier in das Gesicht seines Schwiegervaters sah. Es war gelb und von schlaffen Furchen zerrissen. Der kalte, feste und verächtliche Ausdruck, den der Mund bis dahin bewahrt, hatte sich zu einer schwachen, schiefen, hängenden und blöden Greisengrimasse verzerrt … Der Wagen hielt an der Terrasse.
»Helfen Sie mir«, sagte Lebrecht Kröger, obgleich der Konsul, der zuerst ausgestiegen war, schon die Felldecke zurückwarf und ihm Arm und Schulter als Stütze darbot. Er führte ihn auf dem Kiesboden langsam die wenigen Schritte bis zu der weißglänzenden Freitreppe, die zum Speisezimmer emporführte. Am Fuße der Stufen knickte der Greis in die Kniee. Der Kopf fiel so schwer auf die Brust, daß der hängende Unterkiefer mit klappendem Geräusch gegen den oberen schlug. Die Augen verdrehten sich und brachen …
Lebrecht Kröger, der à la mode-Kavalier, war bei seinen Vätern.
5.
Ein Jahr und zwei Monate später, an einem schneedunstigen Januarmorgen des Jahres 1850, saßen Herr und Madame Grünlich nebst ihrem kleinen dreijährigen Töchterchen in dem mit hellbraunfarbigem Holze getäfelten Speisezimmer auf Stühlen, von denen ein jeder 25 Courantmark gekostet hatte, beim ersten Frühstück.
Die Scheiben der beiden Fenster waren vor Nebel beinahe undurchsichtig; verschwommen gewahrte man nackte Bäume {215} und Sträucher dahinter. In dem grünglasierten niedrigen Ofen, der in einem Winkel stand – neben der offenen Thür, die ins »Pensé-Zimmer« führte, woselbst man Blattgewächse erblickte – knisterte die rote Glut und erfüllte den Raum mit einer sanften, ein wenig riechenden Wärme. An der entgegengesetzten Seite gestatteten halb zurückgeschlagene grüne Tuchportièren den Durchblick in den braunseidenen Salon und auf eine hohe Glasthür, deren Ritzen mit wattierten Rollen verstopft waren, und hinter der eine kleine Terrasse sich in dem weißgrauen, undurchsichtigen Nebel verlor. Seitwärts führte ein dritter Ausgang auf den Korridor.
Der schneeweiße gewirkte Damast auf dem runden Tische war von einem grüngestickten Tischläufer durchzogen und bedeckt mit goldgerändertem und so durchsichtigem Porzellan, daß es hie und da wie Perlmutter schimmerte. Eine Theemaschine summte. In einem dünnsilbernen, flachen Brotkorb, der die Gestalt eines großen, gezackten, leicht gerollten Blattes hatte, lagen Rundstücke und Schnitten von Milchgebäck. Unter einer Kristallglocke türmten sich kleine, geriefelte Butterkugeln, unter einer anderen waren verschiedene Arten von Käse, gelber, grünmarmorierter und weißer sichtbar. Es fehlte nicht an einer Flasche Rotwein, welche vor dem Hausherrn stand, denn Herr Grünlich frühstückte warm.
Mit frisch frisierten Favoris und einem Gesicht, das um diese Morgenstunde besonders rosig erschien, saß er, den Rücken dem Salon zugewandt, fertig angekleidet, in schwarzem Rock und hellen, großkarierten Beinkleidern, und verspeiste nach englischer Sitte ein leicht gebratenes Kotelett. Seine Gattin fand dies zwar vornehm, außerdem aber auch in so hohem Grade widerlich, daß sie sich niemals hatte entschließen können, ihr gewohntes Brot- und Ei-Frühstück dagegen einzutauschen.
Tony war im Schlafrock; sie schwärmte für Schlafröcke. Nichts erschien ihr vornehmer, als ein elegantes Négligé, und {216} da sie sich im Elternhause dieser Leidenschaft nicht hatte überlassen dürfen, fröhnte sie ihr nun als verheiratete Frau desto eifriger. Sie besaß drei dieser schmiegsamen und zarten Kleidungsstücke, bei deren Herstellung mehr Geschmack, Raffinement und Phantasie entfaltet werden kann,
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