Büchners Braut: Roman (German Edition)
Eintreten ins Zimmer sagte Schönlein: »Welch ein Geruch!« Er untersuchte Büchner und ließ sich den Stuhl zeigen, der schwarz und dick-blutig war. »Alles passt zusammen«, war die Diagnose des Arztes. »Es ist das Faulfieber, und die Gefahr ist sehr groß.«
Beide Ärzte gaben dem Kranken noch 24 Stunden zu leben. Und das zu einem Zeitpunkt, zu dem Minna noch nicht einmal den Kehler Eilwagen bestiegen hatte.
Die nächste Nacht war wieder sehr unruhig. »Der Kranke wollte mehrere Male fort, weil er wähnte, in Gefangenschaft zu geraten, oder schon darin zu sein glaubte und sich ihr entziehen wollte. Den Nachmittag vibrierte der Puls nur, und das Herz schlug 160-mal in der Minute. Die Ärzte gaben die Hoffnung auf.«
Alle Zeiten seines Lebens stürmten in heftigen Bildern auf ihn ein. Einmal endete er mit ruhiger, feierlicher Stimme einen Anfall: »Wir haben der Schmerzen nicht zu viel, wir haben ihrer zu wenig, denn durch den Schmerz gehen wir zu Gott ein! – Wir sind Tod, Staub, Asche, wie dürfen wir klagen?«
In der Nacht zum Freitag sprach Büchner fast ununterbrochen, hauptsächlich von seinen Eltern und Geschwistern. Wilhelm Schulz und die anderen Freunde, die abwechselnd bei ihm wachten, konnten ihre Rührung darüber nicht verbergen und erwarteten jeden Augenblick das Ende der Agonie.
Caroline notierte am Freitag: »Schönlein wunderte sich, ihn am Morgen noch lebend zu finden.«
***
In diesen Stunden war Minna in Zürich eingetroffen. Wie betäubt stieg sie aus dem Reisewagen. Sie war angekommen! Jetzt würde sich alle Unruhe legen – so oder so. Sie blieb stehen und schaute. Ein großer weißer Hund kam schwerfällig und schnüffelnd auf sie zu. Sie wollte es als gutes Zeichen sehen, war er doch das Gegenteil einer schwarzen Katze.
Sie suchten einen Gasthof auf, in der Nähe der Poststation, und Minna überließ der Tante das Reden mit dem Wirt. Währenddessen hatte Minna sich an das äußerste Ende einer Eckbank gesetzt, darum herum hoch getäfelte dunkle Wände. Zwei Gäste am anderen Tischende grüßten das junge Fräulein. Minna nickte. Sie hatte bisher kein Bild von Zürich gehabt. Dabei hatte sie sich in den letzten Monaten so oft hier leben sehen. Zusammen mit George. Eine kleine Wohnung, so wie sie es von Schulzens wusste, wie es einem jungen Professor hier möglich und angemessen wäre, mit seiner Frau zu leben. Eine Wohnküche, eine Stube und eine Schlafkammer.
Die Stadt war ihr auch in Georges Erzählungen fremd geblieben. Damals, kurz vor seiner Abreise nach Zürich, ging es beständig um die politischen Gründe, das Abwägen, nun zu fahren oder nicht. Ums Asylrecht, das in der Schweiz gefährdet schien, seit man annahm, dass die deutschen Studenten, die sich als Flüchtige dort aufhielten, einen Einfall in Baden planten. Es gab Verhaftungen und Abschiebungen, und George hatte im Sommer geirrt,als er angenommen hatte, dass in zwei, drei Monaten alles vergessen sei. Erst im November konnte er sein Kolleg an der Universität ankündigen.
So erschien Minna diese Stadt als notwendiger Fluchtpunkt, weniger als künftige Heimat. Aber dann, als seine Vorlesungen bei den Professoren so große Beachtung fanden, war ihr Bild vom Leben in Zürich da. Wo Arbeit und Freunde waren, konnte man leben! O ja, die Nachrichten aus Zürich klangen gut. Zwar war sein Kolleg schlecht besucht, weil es so spät erst angekündigt werden konnte, aber man plante schon für ihn. Dr. Zehnder versprach, sich im Erziehungsrat für ihn einzusetzen. Eine außerordentliche Professur konnte durchaus ins Auge gefasst werden. 800 Franken brächte diese, versicherte ihr Vater. Dazu die Kolleggelder. Das reichte, denn was brauchte man schon? Zwei Zimmer und ein Bett und etwas Glück und Küsse, gute Unterhaltungen, gute Lektüre und den Liebsten um sich. Sie war Landmädchen und Pfarrerstochter. Viel Putz hatte sie noch nie gehabt. Er sagte, ihre Schönheit läge in ihrer Stimme, in ihrem Summen und Singen, in ihren Gedanken, in ihrer »inneren Glückseligkeit« und ihrer »göttlichen Unbefangenheit«. George, wenn du wüsstest, wie schlecht es oft darum stand. Nichts außer einem gemeinsamen Leben konnte ihre Glückseligkeit erhalten. Sie hatte es ihn wissen lassen.
Hier in Zürich konnte er sich in Ruhe seinen Dramen und wissenschaftlichen Schriften widmen und würde darüber womöglich auch diese politischen Kümmernisse vergessen. Vielleicht sogar das!
Dreimal die Woche las er sein Privatissimum, donnerstags,
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