Bufo & Spallanzani
Trápola? Diese Frau begeht Selbstmord, indem sie sich mit einem Revolver, Kaliber 22 ins Herz schießt. Du schreibst, daß sie auf der Stelle tot war, daß sie nicht gelitten hat, sich nicht einmal mit Blut beschmiert hat‹, sagte Delfina. Ich erklärte, das sei ein Roman, und ich wisse nicht, ob die Frau gelitten habe oder nicht, ob ihre Kleider schmutzig geworden seien oder nicht et cetera. Wir diskutierten eine ganze Weile, bis ich ihr schließlich recht gab. Wenn jemand sich töten wolle, sei ein Schuß ins Herz die schnellste und sauberste Methode. Aber wenn sie nicht den Mut habe, ein paar Tabletten zu schlucken, um sich umzubringen, dann habe sie auch nicht den Mut, auf den Abzug eines Revolvers zu drücken. ›Auf den Abzug drücken wirst du, stellvertretend für mich‹, sagte Delfina. ›Das darfst du nicht von mir verlangen, flehte ich sie an, ›um Gottes willen, so etwas kannst du nicht von mir verlangen!‹ Aber sie beharrte darauf, und je größer meine Verzweiflung wurde, um so ruhiger und sachlicher wurde Delfina. Wir diskutierten den ganzen Tag darüber. Mehrmals kam mir der Gedanke, wegzulaufen, sie in meiner Wohnung allein zu lassen, durch die Straßen zu rennen und zu verschwinden, und irgendwann, kurz bevor Delfina mich schließlich überzeugte, kam ein Augenblick, da wäre ich am liebsten gestorben, um der geistigen Folter zu entkommen, der sie mich aussetzte. Sie legte mir den vernickelten Revolver – keine Ahnung, wo sie ihn herhatte – in die Hand, und ich ließ ihn voller Abscheu und Angst zu Boden fallen. Aber im Grunde war ich schon überzeugt, daß es eine gütige Geste wäre, wenn ich sie tötete, ja, sogar ein Zeichen der Reue und Großherzigkeit. Die Idee mit dem Wagen kam von ihr selbst. Delfina entschied sich für das Auto, weil es niemanden belasten würde und auch, weil man so ihren Leichnam schnell finde. Die Straße war mein Vorschlag; ich wußte, daß es eine Sackgasse war und deshalb dort wenig Verkehr herrschte. Ich hatte mich dort einmal verlaufen, als ich versuchte, eine Wohnung im Jardim Botânico zu finden.
Es war Mitternacht, als wir in die Rua Diamantina kamen. Delfina fragte, ob es eine Möglichkeit gebe, ihre Bluse nicht zu beschädigen; sie wollte dem, der sie fand, keinen unordentlichen Anblick bieten. Ich knöpfte ihre Seidenbluse auf und sah die rosige Haut ihrer Brust im schwachen Lichtschein der Straßenlaterne. Sie strich mir mit der Hand über das Gesicht und wischte mir die Tränen ab. ›Ich liebe dich, vielen Dank‹, sagte sie. Ich versuchte in ihren Augen zu lesen, ob noch irgendein Funken Glut und Leidenschaft darin war, eine ähnlich unbezwingbare Flamme wie in Bufos Pupillen, aber in einer scheuen Abschiedsgeste schloß Delfina die Lider. Ich hatte mir vorgenommen, ihr die Waffe in die Hand zu legen und ihren Finger auf den Abzug zu drücken. Jeder Autor von Kriminalromanen weiß, daß bei Selbstmördern, die sich erschießen, Schmauchspuren an der Hand bleiben. Aber als sie, um meine Seele zu befrieden, so großherzig zu mir sagte, daß sie mich liebe, dachte ich nur noch daran, ihrem Leiden schnell ein Ende zu machen. Genau in dem Augenblick, als sie mich anlächelte, schoß ich in ihr unglückliches Herz. Wie in meinem Buch trat kein Blut aus der Wunde, und ihre Bluse, die ich sorgfältig wieder zuknöpfte, war sauber geblieben. Ihr Lächeln verging, aber an ihrem Gesicht mit den geschlossenen Augen erkannte ich, daß Delfina nicht gelitten hatte und daß sie heiter, ich glaube sogar glücklich gewesen ist im letzten Moment ihres Lebens, den sie bewußt erlebt hat. Das ist es, was geschehen ist. Das ist die Wahrheit. Sieh mich nicht so an, ich kann sie nicht wieder lebendig machen, damit sie an Krebs stirbt. Und beschimpf mich nicht als durchtriebenen Unhold. Wenn du willst, gehe ich auf der Stelle zu Guedes und erzähle ihm alles, ich stelle mich der Polizei. Das Leben ist für mich wertlos geworden. Soll ich? Los, sag’s schon.«
»Es liegt etwas Prophetisches
in seiner Literatur.«
Patrícia Melo über Rubem Fonseca
Als ich gebeten wurde, das Nachwort zu diesem Buch von Rubem Fonseca zu schreiben, habe ich das als große Ehre empfunden. Seit ich im Alter von fünfzehn Jahren seinen ersten Roman, O caso Morel, gelesen habe, hat mich der Gedanke, Schriftstellerin zu werden, nie wieder losgelassen.
Ich erinnere mich daran, daß Chico Buarque de Hollanda, einer der hervorragendsten brasilianischen Komponisten, anläßlich
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