Bufo & Spallanzani
kataleptische Zustand ein paarmal verlängern. Wie oft, das wußten die Forscher nicht.
Nachdem ich das alles gelesen und notiert hatte, war ich so aufgeregt, daß ich zu Carminha sagte:
»Habe ich nun recht gehabt oder nicht?«
»Das kann ich erst beantworten, wenn Sie mir sagen, worum es sich handelt.«
»Darum, daß einer so aussehen kann, als wäre er tot, aber dennoch lebt.«
»Oder er kann so aussehen, als wäre er lebendig, aber er ist tot«, sagte sie. Die hat bestimmt irgendein Problem, dachte ich, armes Mädchen, so jung und blaß und dünn und hübsch.
»Sind Sie traurig?« fragte ich.
»Ich?« fragte sie überrascht zurück. »Darüber habe ich noch nicht nachgedacht.«
»Ich habe mal eine Zeit gehabt, da war ich immer traurig«, sagte ich.
»Ich bin nicht traurig«, sagte sie. »Nur … «
»Nur …?«
»Ich bin nicht fröhlich. Das ist etwas anderes.«
»Ach so.«
»Ich habe meine Arbeit«, sagte sie. »Meine Arbeit gefällt mir.«
»Ach so.«
»Wir schließen gleich«, sagte sie.
Ich lief zurück zur Panamericana, aber da war niemand mehr, nur noch das Putzpersonal. Also beschloß ich, meinen Chef Dr. Zumbano zu Hause anzurufen. Eine Frau nahm ab und bat mich, einen Moment zu warten.
»Dr. Zumbano«, sagte ich, »hier ist Canabrava.«
»Wer?«
»Canabrava, aus dem Büro.«
»Ja, natürlich, Canabrava.«
»Ich habe etwas Wichtiges in Zusammenhang mit der Versicherung von Senhor Maurício Estrucho herausgefunden.«
Zumbano schwieg einen Augenblick.
»Können Sie damit nicht bis morgen warten und es mir im Büro erzählen?«
»Morgen ist Samstag, da wird nicht gearbeitet.«
»Ach ja, richtig, natürlich. Dann eben bis Montag.«
»Dr. Zumbano, es ist sehr wichtig.«
»Am Samstag und Sonntag können wir nichts machen, oder? Außerdem fahre ich jetzt gleich in mein Haus nach Petrópolis. Montag dann, ja? Gleich frühmorgens.«
Minolta stand in der Küche meiner Wohnung. Sie hatte sich umgezogen.
»Paß auf den Reis auf. Das ist Naturreis. Magst du Naturreis? Ich schreibe gerade ein Gedicht über das Löwenäffchen, das man hier bei uns aus den Vereinigten Staaten wiedereingebürgert hat.« Sie steckte die Hand in ihre Tasche, die sie immer umhängen hatte, und holte ein Bild heraus. »Hast du schon mal so ein hübsches Persönchen gesehen?« Es war ein Krallenäffchen, das einen Baumast umklammerte. »Kennst du die Geschichte?«
»Naturreis, ist das dieser dunkle?«
»Der einzige, der für die Gesundheit gut ist. Der andere besteht nur aus Stärke und ist völlig wertlos. Aber diese Äffchen waren in Brasilien am Aussterben, sie lebten hier in der Nähe, in Silva Jardim im Bundesstaat Rio, aber durch das Abholzen drohte ihnen das Ende. Da hat man ein paar Pärchen in die Vereinigten Staaten gebracht, und dort haben sie sich in Gefangenschaft vermehrt. Jetzt kommen sie zurück, und nun stellt sich die Frage, ob sie in der Lage sein werden, in Freiheit zu leben.«
»In Freiheit zu leben ist schwierig«, sagte ich.
»Was willst du damit sagen?« Minolta sah mich mißtrauisch an.
»Daß es schwierig ist, sonst nichts.«
»Du lebst gern in eingeschränkter Freiheit, weil das einfacher ist, meinst du das?«
»Nein. Ich lebe gern in Freiheit. Es ist nur schwierig, das ist alles.«
Sie sah mich eine Weile an.
»Wenn das schon für dich schwierig ist, dann erst recht für ein Äffchen, das in einem Käfig aufgewachsen ist, das wie ein Gefangener gefüttert worden ist und nicht gelernt hat, Nahrung zu suchen, sich zu verteidigen. Es gibt in der Natur Dinge, die giftig sind, auch wenn das widersinnig klingt. Die Umweltschützer haben vorgeschlagen, die wiedereingeführten Weibchen und Jungen zusammen mit einem Männchen auszusetzen, das hier in Silva Jardim, wo sie freigelassen werden sollen, aufgewachsen ist. Dieses Männchen – oder dieser Macho? – könnte der Familie beibringen, wie sie überleben kann. Wie findest du das?«
»Gut«, sagte ich. Meine Gedanken waren weit weg. Das einzige Tier, das mich interessierte, war die Kröte – abgesehen natürlich von ein paar Vernunftwesen wie Dona Clara Estrucho.
»Ich finde diese Lösung typisch für die Macho-Denkweise. Warum kann man nicht die gezüchteten Männchen und Jungen mit einem wilden Weibchen von hier zusammen aussetzen? Das Weibchen könnte es ihnen doch auch beibringen oder etwa nicht?« sagte Minolta.
»Wahrscheinlich wollen sie das Weibchen nicht von den Jungen trennen«, sagte ich.
»Das Weibchen ist immer eine
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