Bufo & Spallanzani
Zumbanos Büro gab es keine Neuigkeiten.
Ich ging in das Zimmer zurück, das ich mit Gomes teilte, und stellte fest, daß er mich weiterhin merkwürdig ansah.
»Zu mir kannst du Vertrauen haben«, sagte er nach einer Weile. »Ich bin dein Freund.«
»Ja, ich weiß«, sagte ich in der Annahme, er habe auf irgendeine Weise etwas von meinen Nachforschungen über den falschen Tod von Maurício Estrucho erfahren. Aber das war es nicht. Es war nur eine Intrige von Zilda.
»Zilda hat mich angerufen und gesagt, du hättest einen Streßanfall gehabt.«
Ich atmete erleichtert auf.
»Einen Streßanfall? Das hat sie gesagt?«
»Nicht wörtlich so. Sie hat gesagt, du wärst ausgeflippt, nicht ganz richtig im Kopf, du würdest Kröten an den Wänden sehen, die Abfälle von den Nachbarn essen und du hättest sie rausgeschmissen und dir ein Flittchen aus dem Puff ins Haus geholt.«
»Nichts dergleichen«, sagte ich entrüstet.
»Willst du damit sagen, daß zwischen euch alles okay ist?«
»Nein, ist es nicht. Sie ist ausgezogen, stimmt, aber von sich aus.«
»Willst du damit sagen, daß kein Mädchen bei dir wohnt?« Gomes hatte durch das amerikanische Handbuch Die Vernehmung – Befragungen und Einschätzung gelernt, wie man Verhöre führt.
»Nein. Aber du weißt nicht Bescheid, Gomes. Zilda war sauer auf mich – um ehrlich zu sein, wegen einer Kröte, aber ich sehe keine Kröten an den Wänden, da kannst du beruhigt sein – und ist ausgezogen. Am nächsten Tag, gestern« – kaum zu fassen, aber das alles war erst vor einem Tag passiert –, »habe ich dieses Mädchen kennengelernt; sie saß auf der Treppe vor der Nationalbibliothek; sie heißt Minolta, ja, genau so, wie der Fotoapparat, und sie hatte keine Bleibe, und ich habe ihr angeboten, bei mir zu übernachten, und sie hat im Schlafzimmer geschlafen und ich auf dem Sofa im Wohnzimmer, und vermutlich ist sie jetzt gar nicht mehr in meiner Wohnung. Zufrieden? Wenn hier einer in dieser ganzen Geschichte verrückt ist, dann Zilda.«
Gomes biß sich auf die Lippen und senkte den Blick.
»Bist du zufrieden?« fragte ich noch einmal.
Er biß sich weiter auf die Lippen und kratzte sich an der Nasenspitze. Ich weiß nicht, ob er überzeugt war oder nicht. Jedenfalls war es Zeit, daß ich zur Nationalbibliothek fuhr und weitersuchte.
»Wenn jemand nach mir fragt, sag, ich wär’ weg, weil ich im Außendienst zu tun hätte.«
Gomes nickte, ohne mich anzusehen.
In der Nationalbibliothek ging ich zu der Bibliothekarin, die mir ihre Hilfe angeboten hatte. Sie hieß Carminha. Ihr Blick war traurig und schnitt mir ins Herz. Sie kannte Ceresso von der Brasilianischen Gesellschaft zum Schutz der Amphibien, er war ein fleißiger Benutzer der Nationalbibliothek.
»Welches Gebiet interessiert Sie?«
»Experimente mit Krötengift.«
»Aha«, sagte sie, und ihr Blick schien noch trauriger zu werden. »Ich dachte, Sie interessierten sich für Musik. Eine dumme Idee von mir. Kröten … Da wollen wir mal sehen. Möchten Sie irgend etwas Besonderes, ein bestimmtes Buch?«
»Ich möchte alles sehen, was es darüber gibt. Aber auf jeden Fall möchte ich diese hier lesen.« Ich gab ihr die Liste mit den Namen, die der Direktor der Brasilianischen Gesellschaft zum Schutz der Amphibien mir gegeben hatte.
Carminha beschaffte mir das Journal of Ethnopharmacology mit dem Artikel von Wade Davis und die Bücher von Kobayashi und Nobre Soares.
Ich vertiefte mich in die Lektüre dieser faszinierenden Bücher. »Die Kröte«, hieß es bei Davis, »gleicht einem Labor, einem Chemiewerk, denn außer Halluzinogenen verfügt sie auch noch über starke, bislang nicht identifizierte Betäubungsstoffe, die das Herz und das Nervensystem angreifen.« Davis’ Forschungsergebnisse bestätigten die von Kobayashi. Danach besitzt die Kröte eine Substanz, die dem von Kobayashi beim Baiacu oder Kugelfisch gefundenen Tetradotoxin gleicht.
Unter Einfluß dieser Substanz geraten die Menschen physiologisch gesehen in einen todesähnlichen Zustand, bei dem nur bestimmte geistige Fähigkeiten wie das Gedächtnis erhalten bleiben. Dieser Zustand wird als Zombieismus bezeichnet. Der Zombie bleibt – ganz gleich, ob man ihn begräbt oder nicht – zehn Stunden lang scheintot, es sei denn, ihm wird weiterhin eine Mixtur aus Krötengift und bestimmten, in manchen Pflanzen wie Pyrethrum parthenium vorkommenden chemischen Substanzen im Verhältnis von 1 mg auf 50 mg eingeflößt. Dadurch läßt sich der
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