Bugschuß
Kneipe stolperte. Ihr Ausweichmanöver hatte an einem Laternenpfahl geendet und Kameraden des Betrunkenen hatten zu argumentieren versucht, dass Frau Itzenga zu schnell gewesen war und deshalb nicht rechtzeitig hatte anhalten können. Die herbeigerufene Polizei konnte den Sachverhalt jedoch klären.
Tanja Itzenga war sich ihrer Vorurteile bewusst. Nein, man durfte nicht von Einzelfällen auf die Gesamtheit schließen – außerdem gab es sogar ein verbindendes Element zwischen den Schützen und ihr selbst: das Schießen. Das musste sie in regelmäßigen Abständen ebenfalls trainieren, Schießbahnen waren ihr bekannt und manchmal machte es ihr sogar Spaß, wenn sie den Ernst der Sache dahinter verdrängte. Ein guter Schuss konnte durchaus ihren Ehrgeiz wecken, stellte sie hin und wieder fest. Und das polizeiliche Schießen war insofern wesentlich ernsthafter, als dass man als Kommissarin in die Lage kommen konnte, schießen zu müssen. Auf Täter, auf Menschen. Schützen in einem Verein verfolgten andere Trainingsziele.
»Wir suchen einen Onno Ahlert«, rief Ulferts dem Wirt zu, der ihn trotz des relativ hohen Lärmpegels verstand.
»Darf ich fragen, mit wem ich die Ehre habe?«, entgegnete der Wirt.
»Natürlich, Entschuldigung, ich vergaß, uns vorzustellen«, gab Ulferts seinen Fauxpas zu. »Mein Name ist Ulferts, Kriminalpolizei. Dies ist meine Kollegin, Hauptkommissarin Itzenga. Wir suchen Herrn Ahlert wegen des Vorfalls am Großen Meer und den Schüssen hier in Emden, Sie wissen sicher Bescheid, aus der Zeitung oder dem Internet!«
»Diese Schüsse!«, entgegnete der Wirt, »saublöde Sache. Wir haben das auch hier schon heiß diskutiert. Stand ja alles in der Zeitung. Und Onno hat erzählt, dass bei seinem Nachbarn in das Wohnzimmer geschossen wurde. Ist ja nicht zu glauben! So etwas ist nicht gut für unseren Sport. Immer werden gleich die Schützenvereine genannt, wenn irgendwelche Idioten herumballern. Als wenn es nicht gerade wir wären, die einen verantwortungsvollen Umgang mit Waffen predigen. Schützenvereine oder Ballerspiele am Computer – nur diese beiden Ursachen kann es geben. Ich meine, das ist zu einfach gedacht. Das Waffengesetz und der vorschriftsmäßige Umgang mit Waffen ist uns heilig, wissen Sie?«
Da die beiden Polizisten nicht unmittelbar reagierten, nahm der Wirt das Wort wieder auf: »Herr Ahlert ist schon eine Ewigkeit in unserem Verein. Vorbildlicher Schützenbruder! Außerdem hat er ein Häuschen am Großen Meer, richtig«, dozierte der Wirt, »na, das kann er Ihnen alles selbst erzählen, Ahlert ist auf jeden Fall hier. Aber wo er in diesem Augenblick steckt, weiß ich nicht. Sehen Sie mal auf der Schießbahn nach.« Er überlegte kurz. »Warten Sie, ich komme mit, da kann nicht jeder einfach so hin, auch wenn Sie vom Fach sind.«
Der Wirt stellte zwei Gästen noch ein Bier und eine Bionade hin, kam hinter der Theke hervor und geleitete Ulferts und Itzenga zur Schießbahn. Als der Wirt eine Stahltür öffnete, sahen die Polizisten in eine groß angelegte, neue und sehr ordentlich wirkende Halle. Alle Schießstände waren besetzt und die Übenden kümmerten sich kaum um die Personen, die den Raum betraten. Sie waren voll und ganz auf den nächsten Schuss konzentriert. Der Wirt sprach mit einem Mann, der selbst nicht schoss. Offensichtlich überwachte er den Schießbetrieb, prüfte hier und da Waffen, die Munition, führte akribisch Listen.
Ulferts registrierte sofort, dass dieser Schießstand jeder externen Prüfung standhalten würde. Für einen Moment dachte er an einen kurzen Artikel im Hamburger Abendblatt, das er sich ab und an kaufte, den er vor einiger Zeit gelesen hatte. Tatort-Hauptkommissarin Charlotte Lindholm vom LKA Hannover war das erste Mal in ihrem Leben auf einer realen Schießbahn gewesen und als sie sich gewahr wurde, dass so ein Schuss einen erstaunlichen Rückstoß auslöste und sie dabei gleichzeitig ein todbringendes Geschoss auf seinen Weg gebracht hatte, habe sie klatschnasse Hände bekommen … Wie oft hatte er bereits auf der Schießbahn gestanden!
Der Herr der Schießbahn – wie der Wirt ihn bezeichnet hatte – nickte mit einer gewissen Anerkennung, als letzterer ihm erklärt hatte, dass es sich um einen Kommissar und eine Hauptkommissarin handelte, die zu Besuch waren. Er schüttelte Ulferts und Itzenga die Hand und wartete gar nicht ab, was diese wollten, sondern begann gleich, einen kleinen Vortrag zu halten.
»Sie sind im richtigen Verein!
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