Bugschuß
hat! Da kann man noch viel weiter ausholen. In Schleswig-Holstein haben CDU und FDP drei Sitze mehr, obwohl sie 1,7 Prozent weniger Stimmen hatten. Al Gore ist damals nicht gewählt worden, sondern George Bush, obwohl Al Gore zehntausende Stimmen mehr hatte. Demokratie ist anscheinend Definitionssache, oder wie?« Stöwers atmete aus. »Ansonsten – mehr als Sie in den Akten finden, kann ich Ihnen auch nicht sagen.«
»Immerhin ist der BND demokratisch legitimiert!«
Stöwers unterbrach sie: »So ähnlich wurde das auch in der DDR gesagt, Frau Hauptkommissarin. Wir haben die Kandidaten der Nationalen Front gewählt. Die haben ja die 99 Prozent bekommen, über alle Parteien, die Gewerkschaften, andere Organisationen hinweg. Es wird immer so dargestellt, als habe die SED die 99 Prozent bekommen. Das stimmt doch gar nicht. Und alles Weitere wurde ohnehin auf anderen Ebenen entschieden.«
»Wobei die SED immer das letzte Wort hatte!«, warf Ulferts ein.
»Ja, nun … Ich wollte nur sagen, wenn etwas ›demokratisch‹ heißt, muss nicht zwangsläufig die Gesamtheit aller dahinter stehen, es kann genauso gut ein vorab gewähltes Organ sein. Niemand würde hier behaupten, der Bundespräsident sei nicht demokratisch gewählt, oder? Haben Sie den schon mal gewählt? Nein! Und die Staatssicherheit ist seitens der Regierungsorgane, die wiederum auf Beschluss der Volkskammer wirkten, nie infrage gestellt worden. Schild und Schwert der Partei. Klingt heute lächerlich, ich weiß. Wir waren überzeugt, das Richtige zu tun … lange Zeit zumindest! Wie die Leute beim BND …vermute ich mal.«
»Aber es war, wie sie selbst sagen: Schild und Schwert der Partei – nicht des Volkes! Und dass die Stasi nie infrage gestellt wurde, bezweifele ich sehr. Ich denke, man durfte das nur nicht laut sagen«, Ulferts sah Stöwers kritisch an.
»Das, was die SED entschied …«
»… war ja immer zum Wohle des Volkes, oder was wollen Sie uns jetzt erzählen?« Ulferts lachte gequält.
»Man kann die Systeme nicht einfach so vergleichen, wie Sie das tun. Man muss die Grundlagen betrachten, auf denen sie aufbauten.«
»Vielleicht, aber dazu haben wir jetzt eh keine Zeit«, schloss Ulferts.
Eine Zeit lang herrschte Schweigen. Tanja Itzenga sah die Widersprüche und schwer erklärbaren Unterschiede.
»Haben Sie, um das Thema mal wieder auf die Taten zu lenken, denn überhaupt keine Idee, wie die Schüsse mit Ihrer Person zusammenhängen?«, fragte die Emder Polizistin, da ihre Auricher Kollegen ein wenig gedankenverloren ins Leere starrten.
Stöwers zögerte.
»Wissen Sie …«, der Mann dachte nach. »Ich glaube eher, Sie sollten sich mit meinem Freund Wientjes befassen – ich kenne ihn schon länger, vom Rudern her, aber alle Einzelheiten seines Lebens sind mir natürlich nicht bekannt. Wen kennt man schon voll und ganz? Vielleicht gilt die ganze Schießerei ja gar nicht mir, sondern ihm! Sein Haus ist beschossen worden! Ich sehe nicht, warum Sie sich für mich interessieren sollten!«
»Den haben wir im Blick, da machen Sie sich mal keine Sorgen«, erwiderte Ulferts. Bislang war die Befragung zwar zeitweise durchaus interessant, aber wenig zielführend gewesen. Tanja Itzenga sah indes ein, dass eine Fortführung des Gespräches vorerst kaum zu neuen Erkenntnissen führen würde. Und Stöwers hatte recht: Der Täter hätte, wenn Stöwers sein Ziel gewesen wäre, ihm bei dessen Domizil auflauern können. Das hätte Sinn ergeben.
»Das war’s dann für’s Erste, Herr Stöwers. Vielen Dank«, sagte die Hauptkommissarin. Sie war während des Gespräches nachdenklich geworden. Andererseits hatte der Kerl den Beton im Kopf anscheinend nie richtig wegbekommen, Brüche in der Decke, hier und da, aber der Unterbau stand noch auf festem Fundament.
27
»Warum fahren wir nicht noch am Schützenhaus vorbei?«, fragte Ulfert Ulferts seine Kollegin, nachdem sie eine Weile schweigend unterwegs waren. Die Kollegin aus Emden hatten sie ein paar Minuten vorher an der Wache aussteigen lassen. In Kürze würde die Entscheidung anstehen, ob sie den Weg nach Aurich, Ostfrieslands Hauptstadt, einschlagen wollten.
»Eigentlich habe ich keine große Lust mehr«, bemerkte Itzenga.
»Lüst kummt bi’t arbeiten!«, grinste Ulferts sie an, aber die Hauptkommissarin nahm die Bemerkung regungslos auf. Dann ergänzte ihr Kollege: »Wir sind gerade in der Nähe – und vielleicht ist es gar nicht schlecht, Onno Ahlert unvorbereitet in seinem Verein
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