Bugschuß
aber er hatte sich neu eingerichtet. Stabil, zukunftsorientiert. Das ging am besten ohne die Vergangenheit. Die lag lange zurück. Und der schwadronierte von Spielen …
»Sie glauben gar nicht, zu was Spielsucht und Spielschulden führen können. Da gibt es Mord und Totschlag, auch Selbstmord, gar nicht so selten. Was ich damit sagen will: Alles, was vielleicht nicht in das Leben eines voll und ganz nach dem Gesetz lebenden, biederen Bürgers dieses Landes passt, könnte uns ein Hinweis sein.« Ulferts gefiel sein letzter Satz.
»Und wenn ich nun so ein gesetzestreuer, biederer Bürger bin? Ich lebe hier nach Gesetz und Recht, übrigens habe ich das auch in der DDR getan.« Stöwers machte eine kurze Pause um zu beobachten, ob die Polizisten die Bedeutung dieser Worte überhaupt wahrnahmen. Dies schien nicht der Fall zu sein, deshalb fuhr er fort: »Außerdem – was würde es mir nutzen, wenn ich es nicht wäre und ich sagte Ihnen das?«
»Wir könnten unsere Ermittlungen konkretisieren und Sie damit eventuell schützen, Herr Stöwers, immerhin sind Sie in Gefahr – in Lebensgefahr!«, mischte sich Tanja Itzenga wieder in die Konversation ein.
»Das ist der Punkt. Wenn Sie uns nichts sagen, kann es sein, dass Sie schon morgen ein toter Mann sind!« Ulferts betonte das mit Vehemenz und Stöwers schwieg, denn er spürte, dass der Kommissar recht hatte. Erst in diesem Augenblick wurde ihm das so richtig klar. Drei Schüsse waren schon gefallen … was würde der nächste bringen? Was, wenn der Täter ihn beim nächsten Mal traf? War das eigentlich so schlimm? Schnell wischte Stöwers diesen Gedanken fort.
»Ich habe mit niemanden Ärger«, sagte Stöwers, nachdem er sich gefasst hatte. ›Toter Mann‹, das saß ihm in den Knochen.
»Nie gehabt?«
»Nein.«
»In der Akte der BStU steht so einiges.« Tanja Itzenga machte bewusst eine Pause.
»BStU?«
»Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der Deutschen Demokratischen Republik, auch bekannt als Birthler-Behörde, mittlerweile leitet das aber ein Herr Jahn.«
»Ach die …«
»Da klingt es so, als seien Sie ein sehr guter Mitarbeiter gewesen, zuverlässig, akkurat, auskunftsfreudig. Die Beurteilungen Ihrer damaligen Führungsoffiziere hören sich nicht so an, als hätten Sie alles nur unter Druck und mit großem Widerwillen getan.«
»Diese ganzen Berichte, was kann man darauf schon geben.«
»Sie haben Berichte verfasst, und den Job haben Sie anscheinend ziemlich ernst genommen.«
»Wenn ich eine Arbeit mache, dann ordentlich. Hätte ich das nicht getan, hätten die Druck gemacht! Meine Güte – alles, was wir gesehen, gehört oder vermutet haben, musste schriftlich zusammengefasst und an den Führungsoffizier weitergegeben werden. So war der … der Workflow, wie man heute sagt. Was die höheren Herren damit gemacht haben, weiß ich nicht.«
»Das glaube ich Ihnen nicht!«, entfuhr es Ulferts. »Sie wollen uns nicht wirklich weismachen, die ganzen Berichte wären für den Papierkorb gewesen? Nein – diese Berichte waren die entscheidende Grundlage, Leuten, die sich nicht staatskonform verhielten, einen Strick draus zu drehen.«
»Ach, Strick drehen, das klingt so dramatisch!«, wurde Stöwers laut. »So schlimm war vieles gar nicht, wie es heute dargestellt wird. Im Nachhinein sind immer alle schlauer, und wenn’s passt, wird alles viel extremer gemacht, als es wirklich war.«
»Da haben Menschen wegen Denunziation jahrelang im Gefängnis gesessen, das ist Fakt!«
Stöwers wand sich. Vergessen, es war so lange her, vergessen! Warum wühlten die jetzt seine Vergangenheit auf, die er lange hinter sich gelassen hatte? Wie eine Schlange, die ihre Haut abstreift.
»Es gab nun einmal … tatsächlich Leute, die wollten den Staat sabotieren. Die wollten ein anderes Land, die haben sich zusammengetan, um zu agitieren … Das lässt man hier schließlich genauso wenig zu, oder? Wozu gibt es denn sonst BKA und BND? Es war die zentrale Aufgabe der Staatssicherheit. Das ist nichts Besonderes! Jede Geheimpolizei beschattet Menschen, die irgendetwas an sich oder getan haben, was der jeweiligen Regierung nicht in den Kram passt. Glauben Sie, beim BND lägen nicht regalweise Berichte? Was ist mit der Überwachung von Kinobesuchern mit Nachtsichtgeräten, das Abhören von Telefonen, der Konteneinsicht, der Internetüberwachung? Überall stehen Videokameras – mit Sicherheit Hundertausende mehr als es jemals in der DDR gegeben
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