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Bullenball

Bullenball

Titel: Bullenball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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ausdruckslos oder leer.
    »Hier ist ganz schön was los heute, oder?« Seine Stimme war
freundlich. »Wolltest du nicht nach Hause, wie die meisten anderen auch?«
    »Nach Brook fährt um diese Zeit kein Bus. Und keiner konnte mich
mitnehmen.«
    »Wie lange musst du noch warten?«
    »Eine Stunde.«
    »Na, das lässt sich ja noch aushalten.«
    »Hm.«
    Schweigen. Hambrock betrachtete ihre Hände, die sie nervös knetete.
Sie waren dürr und voller Schwielen.
    Mit einem Kopfnicken deutete er auf den Schulranzen, der vorm
Fenster auf dem Rasen stand, um an der frischen Luft auszudünsten.
    »Ist das deiner?«
    Sie nickte.
    »Das waren deine Klassenkameradinnen, nicht wahr?«
    »Die dachten, das ist witzig.«
    Wieder musterte sie ihn mit diesem sonderbaren Blick. Als wollte sie
herausfinden, ob er sie nur aus der Reserve locken wollte, um anschließend
besser treten zu können.
    »Das ist nicht witzig«, stellte er fest. »Kein bisschen.«
    Sie blinzelte. Er versuchte sich an einem tröstenden Lächeln, hatte
allerdings keine Ahnung, ob er sie damit erreichte. Ihre Augen blieben
Schlitze, aus denen sie ihn verkniffen betrachtete.
    »Sie sind dumm«, fuhr er fort. »Sie denken nicht nach. Irgendwann
werden sie sich dafür schämen.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Vielleicht ja doch.« Er suchte ihren Blick. »Es liegt nicht an dir,
dass das passiert. Das könnte jedem passieren, verstehst du? Was diese Mädchen
machen, ist falsch, aber so etwas kommt nun mal vor. Es gibt viele Menschen,
die sich falsch verhalten.«
    Sie wandte den Blick wieder zum Schulhof. Hambrock trat zurück,
wartete auf ihre Reaktion. Doch sie blieb einfach regungslos sitzen.
Schließlich lächelte er, verabschiedete sich und wandte sich zum Gehen.
    Ohne sich umzudrehen, fragte sie: »Was soll ich denn tun?«
    Er blieb stehen. »Die machen so was ständig, oder? Nicht immer so
auffällig wie die Aktion mit der Buttersäure. Aber kleine gemeine Sachen
passieren jeden Tag.«
    Sie antwortete nicht. Starrte einfach vor sich hin.
    »Du musst mit den Lehrern darüber reden. Vielleicht gibt es ja eine
Lehrerin, die du magst? Der du vertraust? Oder du redest mit anderen Schülern,
denen es genauso geht wie dir. Du bist keine Petze, wenn du erzählst, was die
anderen Mädchen mit dir machen. Du musst nur den Mut haben, es jemandem zu
sagen. Und den Mädchen, die das getan haben, gehst du erst mal aus dem Weg.«
    »Das soll funktionieren?«
    »In den meisten Fällen tut es das. Einen Versuch ist es zumindest
wert.«
    Er unterdrückte den Impuls, ihr seine Karte zu geben. Es war nicht
sein Job, sich um solche Mädchen zu kümmern. Er wartete, bis sie ein weiteres
Mal zu ihm aufsah. Dann lächelte er ihr zu, sagte »Viel Glück!«, drehte sich um
und steuerte die Kantine an, wo die Kollegen das Lehrpersonal befragten.
    Brook zeigte sich an diesem Herbsttag von seiner allerschönsten
Seite. Ein Haufen bunter Häuser am Südhang der Baumberge, mittendrin die alte
Sandsteinkirche und die historische Fachwerkpfarrei, die heute ein
Ausflugslokal mit Biergarten beherbergte. Das Laub leuchtete in kräftigen
Farben, und die Sonne tat ihr Bestes, die Welt ein letztes Mal kräftig
aufzuheizen, bevor sie dem Herbst endgültig das Feld überlassen würde.
    Marie saß bei Jule in der Küche und ließ sich die Sonne ins Gesicht
scheinen. Eigentlich hätte sie ja in der Uni sein müssen. Aber weil Jule sie
gebeten hatte, bei den Vorbereitungen mitzuhelfen, war sie zu dem Schluss
gelangt, die Vorlesungen für diese Woche einfach ausfallen zu lassen. Sie
konnte sich im Moment eh nicht auf den trockenen Stoff konzentrieren. Ihre
Freundin wühlte in den zahllosen Listen und Zetteln, die sie über den Tisch
verteilt hatte, und schob sich konzentriert die Haare aus dem Gesicht. Ein
seltsames Bild gaben sie ab, fand Marie. Hier saßen sie zusammen wie beste
Freundinnen, dabei war ihre Freundschaft doch längst vorbei.
    Jule zog ein Blatt hervor. »Dann brauchen wir noch Leute, die vorm
Standesamt Sekt ausschenken.« Sie strahlte Marie an. »Die Trauung wird im
Barockgebäude am Nottulner Marktplatz stattfinden. Du weißt schon, das
Sandsteinhaus mit der großen Freitreppe, wo der Nonnenbach vorbeifließt. Wenn
wir mit dem Wetter Glück haben, können wir den Sektempfang draußen machen. Das
wäre bestimmt super. Total romantisch.«
    Marie rang sich ein Lächeln ab. »Frag doch die Flötistinnen. Die
machen das bestimmt. Vielleicht können die auch den Sekt besorgen.«
    »Stimmt.«

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