Bullenball
Realschule.«
Da hatten sich am letzten Schultag ein paar von Jules Mitschülern
den Spaß erlaubt, vermummt und mit Spielzeugpistolen bewaffnet das Schulgebäude
zu stürmen. Im Grunde ein ziemlicher Erfolg, es war schließlich alles ganz
offensichtlich gewesen, und die unteren Jahrgänge hatten sich bei einem
Abschluss selten so gut amüsiert. Aber einige der Lehrer waren humorlos genug
gewesen, die Polizei zu rufen, und gegen fünf Schüler wurden Strafverfahren
aufgenommen, an deren Ende vier Verurteilungen mit empfindlichen Geld- und
Bewährungsstrafen standen.
Jule deutete auf die Tür zum Wohnzimmer. »Ihn scheint das jedenfalls
kein Stück zu interessieren.«
Mit einem Seufzer nahm sie wieder Platz. Gerade als Marie einen
weiteren Anlauf nehmen wollte, begann das Telefon zu klingeln.
Jule zog es unter ein paar Zetteln hervor und nahm das Gespräch
entgegen. Sofort strahlte sie übers ganze Gesicht und sagte: »Warte, ich stell
dich auf laut. Marie ist auch da.« Sie drückte einen Knopf und legte das
Telefon auf den Tisch. »Es ist Uli.«
»Hallo, ihr zwei«, kam es etwas blechern aus dem Lautsprecher. »Habt
ihr schon die Neuigkeit gehört?«
»Du meinst das mit dem Amoklauf?«, sagte Jule.
»Was?«, kam es erschrocken. »Wo denn?«
»Ach, nirgendwo. War wohl nur ein Spaß. Aber wovon redest du?«
»Na, von dem Einbruch. Der Anhänger unserer Jazzband wurde bei
Günter Ehlers in der Hofeinfahrt aufgebrochen. Es war ja noch alles drin, nach dem
Auftritt im Schlosspark hat den keiner ausgeräumt.«
Marie und Jule wechselten einen erschrockenen Blick. Alle großen und
wertvollen Instrumente wurden in dem Anhänger aufbewahrt: Schlagzeug, Keyboard,
Mischpult.
»Ist was geklaut worden?«, fragte Jule.
»Die Tuba. Das war wohl das einzige Instrument, das der Dieb tragen
konnte. Alles andere ist zu groß und schwer für einen allein. Aber das reicht
ja schon. Die hat dreitausend Euro gekostet. Günter Ehlers ist völlig fertig.«
Maries Gedanken rasten. Irgendwie hatte sie mit so etwas gerechnet.
Als am Samstagabend Jonas’ Auto mit Eiern beschmiert worden war, hatte sie ein
komisches Gefühl gehabt. Das waren keine Teenager gewesen. Die hätten sich
nämlich ein Auto ausgesucht, das nicht direkt unter einer Laterne stand. Jonas’
Auto war gezielt beschmiert worden.
Marie hatte keine Idee, wer der Jazzband schaden wollen könnte. Sie
waren überall beliebt, außerdem waren sie für jeden offen, der mitmachen
wollte. Trotzdem. Erst Jonas’ Auto und jetzt die Sache mit der Tuba. Das war
kein Zufall. Da steckte mehr dahinter.
Jule beendete das Telefonat und nahm den Faden von vorher wieder
auf. »Wir sollten auch Häppchen anbieten bei dem Sektempfang. Neulich beim
Nachbarschaftsfest hatte Frau Feldkamp so tolle Lachsröllchen gemacht, weißt du
noch? Die wären perfekt, ich muss mir unbedingt das Rezept besorgen.«
Marie schwieg. Sie spürte einen Stich, als ihr klar wurde, dass der
passende Moment für ihre Beichte vorüber war. Für heute hatte sie der Mut
verlassen. Sie würde es ein anderes Mal erneut angehen.
Stattdessen sortierte sie ihre Gedanken und versuchte wieder in ihre
Rolle hineinzufinden. Die gute Freundin, die bei den Hochzeitsvorbereitungen
half. Das nahm sie vollends in Anspruch. Da blieb kein Raum für etwas anderes.
Die geklaute Tuba hatte sie jedenfalls nach wenigen Minuten wieder vergessen.
Woher nehmen die Leute nur die Kraft, das alles auszuhalten? Es ist
doch jeden Tag das Gleiche: aufstehen, duschen, Zähne putzen, frühstücken …
Diese ganzen beschissenen Notwendigkeiten, zu denen man sich aufraffen muss.
Und danach geht der ganze verdammte Tag ja erst los. Manchmal weiß ich echt
nicht, wie ich das schaffen soll. Und vor allem: Wofür überhaupt? Wieso tue ich
mir das an?
Ich sage euch: Ich hasse mein Leben. Guckt mich an, was hab ich denn
schon? Ich hab keine Freunde, keinen Spaß, keiner will was mit mir zu tun
haben. Die Leute tun alle so, als wäre ich ein Tier oder ein Gegenstand und
kein Mensch. Als würde ich nicht merken, wie sie auf Abstand gehen, sobald sie
mich sehen. Mir ihr falsches Lächeln zeigen und innerlich dichtmachen. Aber ich
hab auch Gefühle, verdammt! Für wie blöd haltet ihr mich denn?
Vor allem aber gibt es weit und breit kein Mädchen. Das fehlt mir am
meisten: ein Mensch, bei dem ich mich zeigen kann, wie ich bin. Der mir ganz
nah ist. Stattdessen bin ich immer allein. Und glaubt mir, ich könnte echt
einen brauchen, der mir hilft,
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