Bullenball
vorstellen, was für ein Spaß das
für die anderen sein würde: Adelheid kommt mit ihrem Vater, um sich einen
Ehemann zu suchen. Sie würden sich nicht wieder einkriegen vor Lachen.
»Deine Mutter wird morgen mit dir ein Kleid kaufen gehen. Wir
wollen, dass du gut aussiehst. Das kann ruhig etwas kosten.«
Ihr wurde schwindelig. Bitte, lieber Gott, bitte nicht. Lass das
nicht wahr sein.
»Papa, bitte …«
»Such dir einfach ein Kleid aus. Das schönste, das du finden kannst.
Irgendwie werden wir das Geld dafür schon zusammenkriegen.«
Adelheid schloss die Augen. Sie sah ihren Vater bereits vor sich, in
seinem abgetragenen Sonntagsanzug, wie er in der Kongresshalle stand. Drumherum
nur besoffene Jugendliche, laute Musik, und alle würden Jeans tragen. Er
glaubte wohl, dass man wie in seiner Jugend an langen, eingedeckten Tischreihen
saß. Auf der Bühne spielte eine Tanzkapelle, und alle tauchten in
Abendgarderobe auf. Er würde genauso wenig dorthin passen wie sie.
»Da spielen Rockbands, Papa. Das ist nicht mehr so wie früher.
Außerdem gehen die Leute aus der Landjugend da alleine hin. Eltern kommen gar
nicht mehr mit. Du wärst der Einzige.«
»Ich werde dir nicht im Weg stehen, versprochen. Ich komme nur zu
deinem Schutz mit. Wenn du nicht willst, wirst du mich gar nicht bemerken.«
»Aber …« Adelheid suchte verzweifelt nach einem Ausweg. Wie konnte
sie ihn dazu überreden, ihr das nicht anzutun? Sie suchte nach Worten, nach
Argumenten, doch alles, was ihr einfiel, war: »Ich möchte das nicht. Papa,
bitte …«
Seine Züge verhärteten sich. »Wir gehen dahin.«
Er duldete keinen Widerspruch. Da war die vertraute Strenge in
seiner Stimme, und sie wusste, sie würde nichts gegen seinen Entschluss
unternehmen können.
»Aber, Papa …«
Er stand auf. Hoffnungslosigkeit legte sich bleiern über sie.
»Wenn du mit den Hausaufgaben fertig bist, komm in den Holzschuppen.
Das Tor ist wacklig, ich möchte es reparieren.«
Alles fühlte sich taub an. »Ich komme gleich.«
Er nickte. Dann verließ er die Küche und ließ sie allein.
Kurz nach dem Telefonat mit Suhrkötter meldeten sich die Kollegen
aus Nottuln im Polizeipräsidium. Niklas war tatsächlich verschwunden. Auf dem
Hof seiner Eltern wusste keiner, wo er war, und auch bei seinen Mitschülern
hatte er sich niemandem anvertraut. Also war er zur Fahndung ausgeschrieben
worden.
Guido Gratczek bot sich an, nach Brook zu fahren, und Hambrock, der
im Grunde gar nicht geplant hatte mitzukommen, nahm seinen Dienstwagen und fuhr
ihm hinterher. Ein bisschen frische Luft und ein Tapetenwechsel würden ihm
guttun, beschloss er. So ungerecht das auch erscheinen mochte, aber seit Heike
die Stellung im Büro hielt, hatte er viel mehr Freiheiten für Außeneinsätze.
Auf dem Hof herrschte rege Betriebsamkeit. Die Kollegen aus Coesfeld
hatten einen Durchsuchungsbefehl erwirkt und durchforsteten das Zimmer des
Verdächtigen. Suhrkötter führte die Befragung der Mutter, die völlig aufgelöst
vor dem Kamin hockte und nicht zu begreifen schien, was um sie herum passierte.
Ihr Mann hatte einen geschäftlichen Termin in Düsseldorf. Hambrock erfuhr, dass
er nicht den Betrieb seiner Eltern übernommen hatte, sondern als
Unternehmensberater arbeitete. Land und Stallungen hatte er an einen Großbauern
verpachtet.
Die alten Herrschaften saßen mit zwei Streifenpolizisten im
Wohnzimmer und versicherten sich gegenseitig, alles wäre nur ein
Missverständnis, und wenn ihr Sohn erst einmal aus Düsseldorf zurückgekehrt
wäre, würde er dem allen ein Ende bereiten. Hambrock, der Suhrkötter nicht
unterbrechen wollte, sah sich ein bisschen um.
Hinter den Milchglasscheiben einer Tür entdeckte er einen Schatten.
Neugierig trat er in den Nebenraum, der sich als Küche herausstellte. Er traf
auf ein Mädchen, das an der Anrichte stand und Tee kochte, wohl um ihre Mutter
und die Großeltern zu beruhigen.
»Ganz schöne Unruhe hier, nicht wahr?«, sagte er freundlich, was sie
mit einem höflichen Lächeln quittierte. »Dein Vater ist unterwegs hierher. Er
hat seine Besprechung ausfallen lassen und sich sofort ins Auto gesetzt. In
zwei Stunden müsste er hier sein.«
»Ich weiß.«
»Bist du Niklas’ kleine Schwester?«
»Ich bin seine große Schwester. Mein Name ist Jule.«
»Seine …«
Sie lächelte. »Sie haben ganz richtig gehört. Ich bin älter als er.
Zweiundzwanzig, um genau zu sein.«
»Oh, Entschuldigung. Dann wäre es wohl angebracht, Sie zu
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