Bullenball
betrachtete sie zufrieden. Heike kannte ihn gut genug, um genau
zu wissen, was sie sagen musste, wenn er eine seiner sentimentalen Anwandlungen
bekam. Wieder wurde ihm klar, wie gut sie als Team funktionierten.
»Wenn das hier wieder ein Mädchen wird«, sagte sie und deutete auf
ihren Bauch, »kannst du es gerne haben. Noch so eine Zicke, die mir den ganzen
Tag den Nerv raubt, ertrage ich nicht.«
»Wenn es ein Mädchen wird, werde ich ab und zu mal das Jugendamt bei
euch vorbeischicken. Für alle Fälle.« Dann beugte er sich über den Schreibtisch
und unterzeichnete den Antrag. »Ich reiche ihn weiter.«
»Danke, Hambrock. Glaub mir, ich würde gerne bleiben.«
»Das weiß ich.«
Das Telefon klingelte. Er nahm ab.
»Suhrkötter hier«, meldete sich die vertraute Stimme. »Stellen Sie
sich vor: Wir haben ihn!«
Obwohl da eigentlich nur einer infrage kam, fragte Hambrock: »Wen
meinen Sie?«
»Den Jungen, der die Amokdrohungen ins Internet gestellt hat«, kam
es gut gelaunt von Suhrkötter. »Beim zweiten Mal hat er seinen eigenen PC benutzt und nicht den des Internetcafés. Über den Provider sind wir jetzt an
seine Identität gekommen.«
»Dann lag es nicht an seiner Gerissenheit, sondern es war ganz
einfach Zufall, dass er die erste Drohung aus einem Internetcafé online
gestellt hat.«
»Sieht ganz so aus. Der Junge geht jedenfalls aufs Anne-Frank-Gymnasium.
Wir haben ihn sogar schon befragt. Er gehört zu den Schülern, die als auffällig
eingestuft wurden.«
»Und wer ist es?«
»Niklas Brockmann.«
Hambrock konnte dem Namen kein Gesicht zuordnen.
Suhrkötter fuhr fort: »Er lebt auf einem Bauernhof in Brook, einer
kleinen Gemeinde bei Nottuln. Heute war er nicht in der Schule, die Kollegen
sind schon unterwegs zu seinen Eltern. Wenn er da auch nicht ist, schreiben wir
ihn zur Fahndung aus.«
»Also gut. Sobald Sie ihn haben, sagen Sie Bescheid. Ich komme dann
rüber.« Er verabschiedete sich und beendete das Gespräch.
Heike sah ihn fragend an. »Worum ging es?«
»Die Amokdrohung in Nottuln«, sagte er. »Wie es aussieht, ist das
jetzt vom Tisch.«
Nach dem Mittagessen stürmte Adelheid in ihr Zimmer, um den Computer
hochzufahren. Sie wartete ungeduldig, bis sie mit dem Internet verbunden war,
und rief die inzwischen vertraute Website auf.
Doch der König war offline.
Enttäuscht ließ sie sich in den Stuhl sinken. Das Internet hatte
damit für sie schlagartig seinen Reiz verloren. Sie wusste nicht, was sie jetzt
noch tun sollte. Sie wollte kein einfacher Zaungast mehr sein und andere nur beobachten.
Sie wollte in Kontakt treten. Ein echtes Gespräch führen. Sie wollte mit dem
König reden.
Ihr letzter gemeinsamer Chat war merkwürdig gewesen. Sie machte sich
Sorgen um den König. Es war, als hätte er ihr etwas sagen wollen, sich aber
letztlich nicht getraut. Er hatte seltsame Andeutungen gemacht, auf die sie
sich keinen Reim machen konnte. Es musste um etwas sehr Wichtiges gehen, etwas,
das sein Leben verändern würde.
»Ich muss etwas tun, um mich zu befreien. Etwas Großes«, hatte er
geschrieben. »Ich werde einen Schlussstrich ziehen. Keiner wird das vergessen.«
Aber jedes Mal, wenn Adelheid konkreter werden wollte und ihm Fragen stellte,
tat er so, als habe er nur einen Witz gemacht und das alles gar nicht so
gemeint.
Doch er scherzte nicht, da war sie ganz sicher. Sie hatte auch schon
einen Verdacht, wenn sie ehrlich war: Was, wenn er überlegte, sich etwas
anzutun? Wenn das dieser Schlussstrich sein sollte, von dem er gesprochen
hatte? Sie kannte solche Gedanken von sich selbst: Keiner zwingt dich, dies
alles zu ertragen. Du bist frei. Es liegt in deiner Hand, allem ein Ende zu bereiten.
Nach diesem Chat hatten sie nicht mehr miteinander gesprochen. Er
war ja immer offline gewesen. Sie stand auf und trat ans Fenster. Nachdenklich
blickte sie hinaus.
Der Hof bot ein ungewohntes Bild. Das war ihr vorhin gar nicht
aufgefallen, als sie von der Schule nach Hause gekommen war. Alles war sauber
und aufgeräumt. Die Ställe ausgemistet, der Hof gefegt, das Auto gewaschen.
Dabei war ein ganz gewöhnlicher Donnerstag.
Ihre Eltern hielten Mittagsruhe. Wenn sie aufwachten, würde Adelheid
fragen, was das alles bedeutete. Dann sah sie wieder auf den Bildschirm. Doch
der König war noch immer offline.
»Adelheid! Bist du da oben?«
Das war ihr Vater. Offenbar machte der doch keinen Mittagsschlaf.
»Kannst du mal eben zu mir runterkommen?«
Verwundert verließ sie ihr Zimmer und
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