Bullenball
wir erst in ein paar Stunden, oder?«
Hambrock bemerkte Jule, die sich mit der Teekanne hinter ihnen an
der Wand entlangdrückte. Sie senkte den Blick und verschwand im Wohnzimmer.
»Wenn Niklas erfährt, dass wir ihm auf der Spur sind«, raunte er
Suhrkötter zu, »kann das eine Eskalation in seinem Verhalten nach sich ziehen.
Vielleicht will er seinen Plan dann auf der Stelle umsetzen, bevor wir ihn zu
fassen bekommen.«
»Die Schule ist bereits informiert«, meinte Suhrkötter. »Die
Polizeipräsenz ist ebenfalls verstärkt.«
»Gut. Dann wollen wir hoffen, dass wir ihn rechtzeitig schnappen.«
»Die Schule ist sicher. Da kommt er nicht rein.«
Hambrock wusste: Wenn der Junge besonnen und umsichtig genug
vorging, dann gab es immer einen Weg hineinzugelangen.
»Wollen wir’s hoffen«, sagte er.
Der Parkplatz neben der Brooker Gaststätte war verwaist. Das Lokal
war um diese Uhrzeit noch geschlossen, und Ausflügler waren bei dem nasskalten
Wetter auch nicht unterwegs. Marie stellte den Motor ab und atmete durch.
Sie hatte den Zeitpunkt verpasst, Jule die Wahrheit zu sagen. Das
war ihr spätestens klar geworden, als Uli am Morgen bei ihr aufgetaucht war, um
mit ihr über den Junggesellinnenabschied zu sprechen. »Das muss an diesem
Wochenende passieren!« Und dann hatte Uli ausgesprochen, was Marie völlig aus
den Augen verloren hatte: »Du bist ihre Trauzeugin, das heißt, du musst das
alles organisieren. Das weißt du doch hoffentlich, oder?«
Marie fühlte sich völlig überfordert. Es war definitiv zu spät, um
abzuspringen. Wer hätte sie denn innerhalb von zwei Tagen als Trauzeugin
ersetzen und dann auch noch den Junggesellinnenabschied organisieren sollen?
Das war völlig undenkbar. Sie musste das durchziehen, erst danach konnte sie
reinen Tisch machen.
»Keine Sorge, ich helfe dir dabei«, hatte Uli gesagt, der Maries
Zurückhaltung aufgefallen war. »Zusammen schaffen wir das schon.«
Der Plan stand im Grunde schon fest. Der Trauzeuge von Jonas, einer
seiner Arbeitskollegen, hatte nämlich schon Nägel mit Köpfen gemacht. Seine
Idee war es gewesen, den Junggesellenabschied auf dem Bullenball zu feiern, der
am Wochenende in der Halle Münsterland stattfinden sollte. Auf einer Party
solchen Ausmaßes konnten nämlich beide Gruppen, die der Braut und die des Bräutigams,
zwar getrennt, aber am gleichen Ort feiern. Er fand das ziemlich lustig, und
auch Uli schien seine Idee zu gefallen: »Dann läuft alles parallel, und wir
müssen nur aufpassen, dass Jule und Jonas keinen Kontakt zueinander haben. Ist
doch witzig, oder?«
Der Rest der Planung hatte schnell Gestalt angenommen. Uli war
geradezu übergesprudelt vor Ideen. Sie waren übereingekommen, Jule als Huhn zu
verkleiden. Mit einem Kostüm, in dem sie so richtig albern aussehen würde. Dann
würde sie einen Korb mit bemalten Eiern bekommen, die sie auf dem Bullenball
verkaufen musste, um die Runden für ihre Freundinnen zu finanzieren.
Marie hatte ihre gesamte Kraft dafür aufgewendet, wenigstens ein
bisschen begeistert und tatkräftig zu wirken. Und Uli schien keinen Verdacht
geschöpft zu haben. Marie verfluchte sich dafür, nicht rechtzeitig einen Schlussstrich
gezogen zu haben. Aber jetzt war es zu spät.
Sie stieg aus dem Wagen und schlug die Tür zu. Mit Sabrina, der
Tochter der Gaststättenbesitzerin, hatte Marie schon telefoniert. Sie war eine
der Saxofonistinnen aus der Jazzband und gehörte ebenfalls der Frauengruppe an,
die Jule auf den Bullenball begleiten würde. Am Telefon war Sabrina von der
Idee mit dem Bullenball ganz begeistert gewesen. Ihre Mutter, meinte sie,
bewahrte alte Daunenkissen in einer Truhe auf, die nicht mehr gebraucht wurden.
Die Federn ließen sich bestimmt für das Hühnerkostüm verwenden, das für Jule
gebastelt werden sollte. Also hatte Marie mit ihr vereinbart, vorbeizukommen
und die Kissen abzuholen.
Der Eingang zum Wohnbereich der Gastwirtfamilie lag auf der
Rückseite des Lokals. Sie musste Festsaal und Küchentrakt hinter sich lassen
und dann durch eine unscheinbare Gartentür gehen. Während sie den Parkplatz
überquerte, bemerkte sie im Augenwinkel eine Bewegung. Da war etwas im
Festsaal. Sie blickte durch die bodentiefen Fenster, konnte aber nichts
erkennen. Einer der schweren Vorhänge bewegte sich. Vorsichtig ging sie auf den
Saal zu. An der Tür presste sie die Hände gegen die Scheibe und blickte hinein.
Niemand war zu sehen. Jule drückte die Klinke hinunter und stellte verwundert
fest,
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