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Bullenball

Bullenball

Titel: Bullenball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Holtkötter
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ging in die Küche. Dort
herrschte die übliche Ruhe nach dem Mittagessen. Tisch und Anrichten waren
blank geputzt, die Spülmaschine surrte leise, und in der Luft hing der Geruch
des Insektensprays, das ihre Mutter wie jeden Tag nach dem Essen in der Küche
versprüht hatte. Auf der Fensterbank und dem Tisch lagen die verendeten
Fliegen, die Beine starr in die Luft gestreckt.
    Ihr Vater saß am Tisch und sah zu ihr auf. Sie konnte seinen
Gesichtsausdruck nicht deuten. Wie immer, wenn er nicht draußen bei der Arbeit
war, wirkte er ein bisschen fehl am Platz. Ein kleiner hagerer Mann mit
sehnigen Armen und Händen voller Schwielen, dessen Haare wie Flusen vom Kopf
standen und dessen Oberkörper von der vielen harten Arbeit leicht gebeugt war. Auf
Adelheid hatte er immer den Eindruck gemacht, als könne er mit der Welt und den
Menschen nicht das Geringste anfangen. Wirklich wohl fühlte er sich nur, wenn
er bei seinen Tieren war.
    »Setz dich doch«, sagte er.
    Sie nahm schweigend Platz. Was gab es denn so Wichtiges, das diese
Art von Unterredung notwendig machte? Sie würden doch später ohnehin zusammen
auf dem Feld arbeiten.
    Ihr Vater blickte ihr nicht in die Augen. Sein Blick war auf den
Tisch gerichtet. Eine sterbende Fliege lag auf der blitzsauberen
Wachstischdecke. Einer ihrer Flügel vibrierte, die nach oben gestreckten Beine
zuckten noch. Ihr Vater schien das Tier jedoch nicht zu bemerken.
    »Du machst im nächsten Sommer Abitur«, begann er. »Wir müssen uns
langsam überlegen, wie es danach weitergeht.«
    Sie sah ihn beunruhigt an. »Ich weiß noch nicht, wie es weitergeht«,
sagte sie. »Ist das denn so wichtig?«
    Sie hatte schon ein paarmal darüber nachgedacht. Aber wenn sie einen
Blick in die Zukunft warf, konnte sie nichts erkennen, worauf es sich zu freuen
lohnte. Da waren nur Sackgassen. Außerdem wurde sie ja auch auf dem Hof
gebraucht. Ihr Vater würde die viele Arbeit allein gar nicht bewältigen können.
Und einen Betriebshelfer konnten sie sich nicht leisten. Sie kamen ja auch so
schon kaum über die Runden.
    Ihr Vater schien verlegen zu sein, er fühlte sich hier genauso
unwohl wie Adelheid.
    »In deinem Alter haben deine Mutter und ich schon übers Heiraten
nachgedacht. Wir haben …«
    Er räusperte sich umständlich. In seiner Hand waren zwei Kärtchen
aufgetaucht, mit denen er nervös herumspielte.
    »Du gehst nie aus. Immer nur die Arbeit auf dem Hof. Das ist doch
nicht alles im Leben.«
    Adelheid verstand sofort, was er damit sagen wollte, nämlich: Du
hast keine Freunde, die Mädchen aus dem Dorf wollen ihre Zeit nicht mit dir
verbringen. Du gehst nie ins Kino, wirst nie zu einer Geburtstagsfeier eingeladen.
Du bist immer allein. Du bist nicht normal.
    Aber natürlich sagte er das nicht so. Er war ja genauso hilflos wie
sie. Er verstand nicht, warum es so war. Er verstand so vieles nicht, was um
ihn herum geschah. Die Landwirtschaft hatte sich verändert, alle Bauern im
Umfeld hatten umgerüstet und sich spezialisiert. Viele der Höfe wurden von der
nächsten Generation gar nicht weitergeführt. Und wer blieb, der vergrößerte
sich. Es wurde inzwischen auch mit Windkraft und mit Biogas Geld verdient.
Gentechnik und biologische Landwirtschaft konkurrierten miteinander. Jeder
schuf sich eine Nische, die sein Überleben sicherte. Nur Adelheids Vater machte
so weiter, wie er es schon von seinem Vater und der von dessen Vater gelernt
hatte. Was sollte daran auch falsch sein? Alles änderte sich so rasend schnell,
er kam da einfach nicht mehr mit.
    »Du musst doch auch mal unter Menschen«, sagte er schließlich.
»Ausgehen und jemanden kennenlernen.«
    Adelheid wollte dieses Gespräch nicht weiterführen. Sie wollte nur
noch weg von hier. »Papa …«
    »Nein, nein, versteh mich nicht falsch!« Er versuchte zu lächeln.
»Es ist gut, dass du mir hilfst. Du bist eine gute Tochter, ich kann mir keine
bessere wünschen. Aber du musst doch mal einen Mann kennenlernen.«
    Die Kärtchen in seinen Händen waren inzwischen völlig verbogen.
    Adelheid deutete darauf. »Was hast du denn da?«
    Er legte die Kärtchen vor ihr auf den Tisch. »Das sind zwei Karten
für den Bullenball.«
    »Wie bitte?«
    »Übermorgen ist es so weit. Wir werden zusammen dorthin gehen. Ich
begleite dich.«
    »Zum Bullenball?«
    Adelheid spürte Panik in sich aufsteigen. Die gesamte Brooker
Landjugend würde dort sein. Alle wären versammelt, um Party zu machen, um zu
saufen und zu feiern. Sie konnte sich schon

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