Burakkuboru: Die kleine süsse Überraschung (German Edition)
Botschaft in Form von Strahlung.
Wenn das Wesen nur ein Voyeur wäre, würde es spektakuläre
Bilder von der Welt liefern, denn das Auge der Kreatur ist einzigartig – hat
keine potenziellen Grenzen, wird jeden Morgen besser, als Gestern, so dass die
Aufnahmen jeden Tag mehr Schärfe erhalten. Schon als das Wesen die Heimat
verließ, sah es Dinge, die bis dahin nie gesehen waren, und sie würden es nur
verzaubern, wenn sein Cerebrum nicht eine Dimension größer, als sein Oculus
wäre. Das Wesen ist ein beispielloser Denker, es errechnet sich kontinuierlich
den Grad der naturwissenschaftlichen Erleuchtung, der alles bis her Bekanntes
unmanierlich in den Schatten stellt, herabwürdigt.
Sein Größenwahn begreift seine Grenze in der Genügsamkeit
der Zuschauer, was so viel bedeutet, dass es jedwede Schranke verleugnet, bis
das Publikum Angst vor Erkenntnis erlangt oder bang wird um sein Leben. Bis nun
allerdings tendiert das Ganze offensichtlich Richtung Besitzergreifung des
Universums … zugegeben man müsste Milliarden von Jahren warten.
Würden wir das Geschöpf weiterhin mit einem Lebewesen
vergleichen, würde es etwa in der Pubertät andere Lichtquellen erreichen, sie
kennen lernen, mit denen flirten, sie schwängern und weiterziehen. Die Kinder
des Großen Wesens bleiben allerdings meist an Ort und Stelle, sind eine
Plattform für Zuschauer, die sich an neuen Sonnen ergötzen … und hier endet
diese Parabel, denn es beginnt ein neues Kapitel in der Geschichte des Geistes,
in der Geschichte des Körpers:
Bald eine halbe Milliarde tiefschwarzer Sphären, von denen
jede in der Lage ist, Berge nicht nur zu versetzen, auch zu begreifen, bilden
eine Lichtjahre große, wachsende Blase zusammen – ein Rundum-Auge ohne einen toten
Winkel; jedwede Erkenntnis ist die erste Pflicht des künstlichen Wesens,
Okkupation des Weltraums, das will keiner leugnen, die Zweite.
Ein System nach dem anderen wird erreicht, erforscht, zum
Netzwerk addiert – einem Forum für Wissenschaftler und Gaffer, für alle mit
Zugang und Lust auf Neues und Schönes, demnach für alle Bürger der
Erdgemeinschaft, denn Lust auf Neues und Schönes ist die letzte echte treibende
Kraft der virtuellen Menschen.
Und nicht gerade wenig kann die Technokreatur bieten: Als
sich die Menschen an die neue Sichtweise gewöhnten, mit dem sich alle sechs
Richtungen gleichzeitig erblicken lassen, wussten sie noch nicht, dass ihnen
der sonderbare Blick nach Innen fehlte, der eine Gesamtansicht eines Objekts
simultan von allen Seiten ermöglicht. So sahen sie, als die Geburt des Wesens
eingeleitet wurde, jeden Quadratzentimeter der Sonne nebeneinander Stück für
Stück zu einem Ganzen verbunden, so wie seit Tausenden von Jahren menschliche
Augen ein Stereobild aus zwei Einzelbildern entstehen ließen, nur eben
Dimensionen krasser.
Spätestens als die Kreatur die Größe des Sonnensystems
erreichte, den scharfen Blick in den Kosmos wandte, sah der Mensch zum ersten
Mal die unverfälschte Pracht der Milchstraße, die in Wahrheit nicht aus digitalen
Lichtpunkten besteht, die miteinander um den Platz auf dem zweidimensionalen
Bild kämpfen, weil die Glaslinse den Lichtstrahl zerstreute, sondern aus
winzigen Sternen, die weit von einander entfernt im Raum schwebend um das
galaktische Zentrum rotieren.
Dabei kann der Zuschauer die Art der ankommenden Strahlung
und die Frequenz nach belieben einstellen, um so die vielen Gesichter des
Universums zu sehen. Während das breite Spektrum der elektromagnetischen
Strahlung bereits eine Flut aus Sinnesreizen der zauberhaftesten Sorte liefert,
ermöglichen unkonventionelle Arten der Einsicht völlig neue Wahrnehmung des
Weltraums. Will man hingegen alle Strahlungsarten gleichzeitig erfassen, müssen
neue, künstliche Farben hinzugefügt werden, an die sich das un-menschliche Hirn
lange gewöhnen musste, oder aber, man entsagt der Interpretation durch Farben
und empfindet die Strahlung so wie sie ist: als Wellen und Teilchen.
Weil das Cyber-Auge nicht nur sieht, sondern auch rechnet,
bildet sich Tag für Tag ein immer klareres Bild des Kosmos. Es erfasst all die
Wolken, Nebel und Blasen in vier Dimensionen, speichert sie und berechnet jede
Sekunde neu die Schärfe, damit der Betrachter nie wieder glaubt, das Weltall
wäre still und geruhsam, wie das erstarrte Abbild eines Infernos. Nie wieder
wird man glauben, das Vakuum wäre kalt und öde, Galaxien wären
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