Burning Wings (Das Erwachen) (German Edition)
gut sein, Damian.« Joel versuchte, eine versöhnliche Miene zu machen, versagte aber kläglich. Er verbarg etwas vor mir, das stand für mich fest. »Für den ersten Abend haben wir erst einmal genug geredet, auch wenn es nicht viel war. Wir haben noch eine Menge Zeit vor uns. Du wirst es irgendwann vielleicht erfahren. Aber nicht jetzt. Du musst dich ausruhen. Morgen früh solltest du vorbereitet sein.«
In Gedanken wiederholte ich das Wort vielleicht mehrmals. Vielleicht werde ich es erfahren. Vielleicht auch nie. Ich war versucht nachzufragen, warum er so kryptisch tat. Andererseits hatten wir uns gerade erst kennengelernt. Ich erwartete zu viel. Höchstwahrscheinlich hätte ich genauso reagiert und nicht sofort jede Kleinigkeit ausgeplaudert. Doch er hatte mich mit in sein Zimmer genommen. Das musste etwas bedeuteten. Ein mulmiges Gefühl sagte mir, dass seine Dinge nicht dorthin gehörten, wo er sie aufbewahrte. Das Wieso und Warum blieb mir jedoch verwehrt. Vorerst ließ ich die Sache auf sich beruhen. Es nützte eh nichts, wenn ich darauf bestand. Ich würde damit höchstens die einzigen Menschen vergraulen, die sich mit mir unterhielten, an einem Ort, den ich nicht kannte, in einer Stadt, die mir völlig fremd war, in einem Land, von dem ich niemals gehört hatte. Noch während ich darüber nachdachte, wurde mir eine andere Bedeutung seiner letzten Worte bewusst.
»Wieso muss ich auf morgen früh vorbereitet sein?«
»Liegt das nicht auf der Hand?« Joel hob skeptisch eine Augenbraue. »Du bist jetzt wie wir … ein Arbeiter. Du bist in Agnon – der Stadt der Arbeiter. Ab morgen wirst du wie wir arbeiten. Alles andere erklärt dir dein künftiger Wächter.«
» Wächter ?« Unweigerlich kam mir wieder der Vergleich mit einem Gefängnis in den Sinn. Besser gesagt mit einer Sträflingsanstalt.
Ich merkte, dass Naz etwas sagen wollte, aber Joel hielt ihn erneut davon ab.
Na gut, wenn er mir nichts sagen will, dann will ich es auch nicht wissen.
Obwohl ich mir das einredete, fühlte ich die Enttäuschung. Oder war es Ärger? Vielleicht eine Mischung aus beidem.
» Morgen wirst du es erfahren, Damia n« , sagte Joel im gleichen Moment, als ich es dachte .» Ihr beide geht jetzt besserschlafen . «
Okay. Joel warf uns raus. Wir standen geschlossen auf und liefen gemeinsam zur Tür. Bevor ich hinter Naz in den Flur trat, wünschte er ihm noch eine gute Nacht, ich schloss mich ihm murmelnd an. Danach standen wir alleine im Gang, die Tür war hinter uns mehr schlecht als recht zugeworfen worden. Das war mir egal. Er wollte nicht mehr, ich wollte auch nicht mehr.
Der Gang war von einem sanften Glühen erleuchtet, auch wenn ich wieder keine Lichtquelle ausmachen konnte. Es überraschte mich nicht, genauso wie der unsanfte Rauswurf. Da hätte schon ein leibhaftiger Dämon vor mir auftauchen müssen, um mich heute Abend noch aus der Fassung zu bringen.
» Ist er immer so ?« , flüsterte ich.
Naz nickte .» Du gewöhnst dich dran. Normalerweise macht er um Neulinge einen großen Bogen. Aber du faszinierst ihn.Das hat er mir heimlich zugeflüstert . «
Er kennt mich doch noch gar nicht , antwortete ich im Stillen. Ich kenne mich nicht einmal selbst. Was sollte ich davon halten? War ich für ihn vielleicht ein exotisches Tier, welches er zum ersten Mal mit eigenen Augen sah? Bitteschön. Eigentlich hatte ich weder große Lust noch Interesse, mir weiterhin über Joels Verhalten Gedanken zu machen. Stattdessen kreisten sie um den kommenden Morgen und den erwähnten Wächter.
Naz führte mich zur Treppe. Aber dort verabschiedeten wir uns nicht, wie ich dachte, sondern es stellte sich heraus, dass sein Zimmer nur zwei Türen neben meinem lag. Diese Tatsache beruhigte mich ein wenig. Es war wie ein kleiner Hoffnungsschimmer in der Trostlosigkeit, die sich bei mir eingeschlichen hatte, seitdem ich Joels Zimmer verlassen hatte.
» Kannst du mir etwas über den Wächter erzählen ?« , fragte ich Naz, als wir vor meiner Tür standen und er mir eine erholsame erste Nacht wünschte.
Er zuckte mit den Schultern .» Nein . «
Naz sagte zwar ‚ nein‘ , aber ich sah ihm an, dass er mehr wusste, es nur nicht zugeben wollte. Damit musste ich mich wohl oder übel zufrieden geben. Außerdem wollte ich ihn nicht weiter bedrängen, denn es schien ihm unangenehm zu sein. Doch eines stand fest, ich begann ihn zu mögen. Er hatte eine aufrichtige und fröhliche Art an sich, auch wenn er sie momentan nicht mehr zeigte. Innerlich stellte ich
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