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Butenschön

Butenschön

Titel: Butenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbisweiler
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Covet, hochkonzentriert über seinen Notizblock gebeugt, jedes Wort von Susanne mitschrieb. Ich sah aber auch, und das mit diebischem Vergnügen, dass die Kameraleute der beiden Fernsehsender hinter ihren Arbeitsgeräten klemmten und die Rednerin keine Sekunde aus den Augen ließen. Doch, jetzt, da sie ein paar halblaute Sätze mit dem Rektor wechselte, schwenkte der SWR-Mann ins Publikum. Gerade rechtzeitig, um einen distinguierten älteren Herrn zu filmen, wie er drohend die Faust schüttelte. Das Fäkalwort, mit dem eine hinter ihm sitzende Dame Susanne bedachte, dürfte es ebenfalls in die abendliche Lokalschau geschafft haben.
    »Geile Performance«, entfuhr es mir, ganz gegen meine üblichen Sprachgewohnheiten. Marc nickte, ohne sein Protokoll zu unterbrechen.
    »Ich kann Ihre Einwände nachvollziehen«, klang Susannes Stimme durch den Saal, »aber wenn Sie uns keine Möglichkeit geben, Herr Rektor, unsere Standpunkte öffentlichkeitswirksam darzulegen, müssen wir jede sich bietende Gelegenheit ergreifen.« Während der Rektor wutschnaubend zu seinem Platz stapfte, kam einer der smarten Türsteher auf ihn zugeeilt. Kurzer Wortwechsel, ein Nicken des Chefs, schon flitzte der Smarte zurück. Auch Frau Butenschön hatte sich endlich entschieden, ihren Mann nicht länger im Regen stehen zu lassen, sondern ihn sanft zu seinem Stuhl zu geleiten. Resigniert schüttelte der Alte den Kopf.
    »Unverschämtheit!«, hallten Rufe durch die Aula. »Diese Schmarotzer!« Aber auch das: »Lasst sie ausreden!«, verlangte jemand lautstark, und sein Tonfall ließ mich auf Prof. Gärtner tippen. Zumindest gab es wütende Reaktionen in seine Richtung.
    Vom Minister nach vorne geschubst, stellte sich der Rektor mit erhobenen Armen vor das Publikum und rief: »Einen Moment noch Geduld, meine Damen und Herren! Wir haben gleich wieder alles im Griff.« Doch er wurde übertönt: von Susannes klarer Stimme, von ihren Forderungen nach mehr studentischer Mitsprache, nach besserer personeller Ausstattung, vor allem im Bereich der Lehre, und nach einer deutlichen Verbilligung des Semestertickets. Sie hatte wieder Farbe im Gesicht, sprach ohne Punkt und Komma, schien sich an ihrem Auftritt regelrecht berauschen zu können. Dann aber, mitten im Satz, war der Ton weg. Jemand musste dem Mikro den Saft abgedreht haben. Susanne registrierte es und hob die Stimme. Die Akustik, wie gesagt, ist gut in der Alten Aula, doch gegen die Buh-Stürme der Besucher hatte auch eine aus Leibeskräften schreiende Studentin keine Chance. Was für ein Brüllduell! Als nächstes kamen die beiden Türsteher angerannt, stürmten die Kanzel und griffen jeder einen Arm Susannes. Die machte sich frei, schimpfte, zog ihr Handy aus der Tasche und tippte darauf herum. Großer Beifall, als die Jungs begannen, Susanne von der Kanzel zu zerren. Der Rektor sekundierte mit Kommandos. Blieb die Frage, wie man eine rebellische Studentin ohne jegliche Gewaltanwendung dazu brachte, ihren Platz zu räumen. Die Antwort fiel leicht: gar nicht! Je stärker der Applaus brandete, desto fester packten die Hilfskräfte zu, mahnte der Rektor zur Besonnenheit. Susanne wollte zur Kanzel zurück, wurde daran gehindert, schrie auf.
    »Moment mal«, murmelte ich und erhob mich halb von meinem Platz. Finger weg von Susanne!
    Covet zeigte zur Eingangstür. »Schau, da!«
    Jetzt sah ich es auch. Das Publikum bekam Zuwachs! Immer mehr junge Leute strömten in die Aula, schrien Parolen, bliesen in Trillerpfeifen. Ein paar hatten Plakate dabei, andere versuchten, den Geburtstagssong von vorhin anzustimmen, was aber unterging. Die Gäste wandten die Köpfe, viele erhoben sich vor Schreck. Es wurde unübersichtlich.
    Als ein weiterer Schrei Susannes durch die Aula gellte, hielt mich nichts mehr auf meinem Platz. Zum zweiten Mal innerhalb von 24 Stunden war Max Koller, der Retter aller Bedrängten, gefordert. Bevor der Mittelgang durch die Demonstranten unpassierbar war, rannte ich los.
    »Mach keinen Fehler!«, rief mir Covet hinterher. Typisch Schreiberling!
    Ich kam eben recht, um zu verhindern, dass Susanne eine Ohrfeige verpasst bekam. Es war dem Jungspund nicht einmal zu verdenken, schließlich hatte die Kratzbürste ihn in die Hand gebissen, und von hinten näherte sich das Heer ihrer Unterstützer. Trotzdem, smart war das nicht. Ich stürzte ihm also entgegen, rempelte dabei jemanden an   –   Hoppla, der Rektor der Uni Heidelberg persönlich!   –   und fiel ihm in den erhobenen Arm.

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