Butenschön
aber was für eine! Gedämpft durch die Fenster und den Sonnenschutz, aber immer noch klangvoll genug, drang ein vielstimmiger Geburtstagschor von draußen in die Alte Aula: »Happy birthday, Professor Butenschön, happy birthday to you!«
Unruhe im Saal. Einzelne Lacher, die sich zu allgemeiner Heiterkeit auswuchsen. Welch hübscher Einfall! Und so junge Stimmen! Covet und ich wechselten Blicke. Aber nur kurz, da jemand anderes sämtliche Blicke auf sich zog. Susanne hatte ihren Platz verlassen und eilte, die Blumen in der Hand, durch den Mittelgang nach vorne. Das Ständchen war eben verklungen, als sie den Jubilar erreichte und ihm den Strauß in die Hand drückte. Neben den beiden stand ein baffer Minister und wusste nicht wohin mit seiner Mappe. Susanne schenkte Butenschön ein bezauberndes Lächeln, dem vermutlich nur ich, der ich sie ein klein wenig besser kannte als der Rest, ansah, welche Selbstbeherrschung es ihr abverlangte. Dann drückte sie ihm einen Kuss auf die Wange. Rührung allenthalben. Einige klatschten, es gab Bravorufe.
»Was wird denn das, wenn’s fertig ist?«, knurrte Covet.
Susanne bat um Ruhe. Bleich und kämpferisch sah sie aus, als sie in den Saal rief: »Auch wir, Studenten und Studentinnen der Universität Heidelberg, möchten unserem hochverehrten Professor zum Geburtstag gratulieren. Unten auf dem Uniplatz stehen Dutzende von Kommilitonen, um Ihnen, lieber Professor Butenschön, dieses Ständchen zu bringen. Gleichzeitig aber« – sie drehte sich um, sprang die wenigen Stufen zur Rednerkanzel hinauf und sprach in das bereitstehende Mikrofon – »gleichzeitig wollen wir diese Gelegenheit nutzen, um auf die Missstände an unserer Universität hinzuweisen. Missstände, unter denen sich wissenschaftliche Leistungen wie die eines Albert Butenschön nicht mehr erbringen lassen. Sehr geehrter Herr Minister, sehr geehrte Vertreter des Rektorats, hiermit richten wir einen dringenden Appell an Sie alle, die aktuelle Hochschulpolitik grundlegend zu überarbeiten. Schaffen Sie die Masterstudiengänge ab oder reformieren Sie sie! Nehmen Sie die Einführung von Studiengebühren zurück! Und beseitigen Sie die unseligen Verflechtungen von Wirtschaft und Wissenschaft, die unsere Institute zum Fundraising zwingen und zur Vernachlässigung der Lehre. Tun Sie es auch aus Respekt vor der Lebensbilanz eines Albert Butenschön.« Susannes Stimme kippte. Sie schnappte nach Luft.
Ich gab Covet den Rippenstoß von vorhin doppelt zurück – aus Begeisterung! Für diesen einen Moment hatte es sich gelohnt, all die langweiligen Ansprachen zu ertragen, das Pausengeklimpere und das Defilee der Wichtigen. Jetzt war was los in der Alten Aula! Nicht schlecht, Susanne Rabe. Die Heiterkeit des Publikums hatte sich in Entrüstung verwandelt, statt der Zustimmung von eben hagelte es Rufe wie »Unerhört!« und »Frechheit!«. Der lobredende Minister tuschelte mit dem Unirektor, Frau Butenschön war aufgesprungen, nur um sich gleich darauf, wie in Zeitlupe, wieder zu setzen. Ihr Mann stand einsam im Halbrund und schaute verstört zur Kanzel hinauf.
Susanne hatte sich gefangen. Die Empörung des Publikums nahm zu, aber wer hatte das Mikrofon? Sie! »Für Professor Butenschön«, hallte es aus den Lautsprechern, »stand das Leistungsprinzip immer an erster Stelle. Das haben Sie, verehrter Herr Rektor, in Ihren Begrüßungsworten eigens betont. Die heutigen universitären Verhältnisse aber verhindern Leistung! Die Studiengebühren sorgen dafür, dass nur derjenige Leistung zeigen kann, der auch die finanziellen Möglichkeiten hat. Selektion über den Geldbeutel, so empfinden wir das! Unter diesen Umständen sehen die Albert Butenschöns von heute womöglich nie eine Uni von innen. Und wenn sie es tun, verschleudern sie ihr kreatives Potenzial in hoffnungslos verschulten Masterstudiengängen. Auf diese Weise züchtet man keine zukünftigen Nobelpreisträger, sondern geklonte Halbwissenschaftler.«
Sie hielt inne, weil sich der Rektor neben ihr – gleichzeitig aber auch unter ihr, er stand nämlich eine Stufe tiefer – in all seiner akademischen Würde aufgebaut hatte. Einzelne seiner Worte wurden von der Lautsprecheranlage übertragen: Vernunft annehmen … Bogen überspannt … Brüskierung des Jubilars … Nun, da griffen die Gäste des Festakts zu weniger höflichen Formulierungen; die Tussi rauszuschmeißen, war noch eine der milderen Forderungen. Ich sah, wie
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