Butenschön
Schritten erklomm sie die breite Marmortreppe, wir hinterher. Marc, ganz Gentleman, brachte Susannes Jacke zur Garderobe, erhielt jedoch auf seine Frage, für wen der Strauß gedacht sei, keine Antwort. Ihr Handy kontrollierend, ging sie voraus.
»Kühler als ein Novembertag«, murmelte er und ließ einem Rolli, der eben dem Aufzug hinter der Garderobe entschlüpfte, den Vortritt.
Am Durchgang zur Aula wurden unsere Einladungen kontrolliert. Einer von zwei smarten jungen Herren nahm sie in Empfang, bestätigte lächelnd ihre Gültigkeit und wünschte uns angenehmen Aufenthalt. Über knarrende Dielen betraten wir den Saal. Die Stuhlreihen vor uns waren bereits gut gefüllt, auf den wenigen unbesetzten Plätzen lagen Namensschildchen. Wir quetschten uns in eine der seitlich angebrachten Holzbänke, die um die Aula liefen wie das Gestühl einer Apsis. Susanne bestand darauf, außen zu sitzen.
»Musst du früher los?«, fragte ich sie. »Oder hältst du dir immer einen Fluchtweg frei?«
Sie nickte unbestimmt. Ihren angespannten Züge nach zu urteilen, stand sie mächtig unter Druck, kein Vergleich zu dem bisschen Organisationsstress von gestern. Ich war ehrlich gespannt, was diese Frau im Schilde führte.
»Mann, ist das ein Rot!«, hörte ich Covet murmeln.
Ich folgte seinem Blick. Schräg gegenüber leuchtete ein Haarschopf grell aus der Menge hervor: Dörte Malewski! Wenn das mal keine Überraschung war! Ihre Worte klangen mir noch deutlich im Ohr: Was hätte ich zu feiern, Herr Koller? Ja, Frau Malewski, was gibt es zu feiern? Warum sind Sie hier? Und vor allem: Wie kamen Sie an eine Einladung? Sie bemerkte mich und meine verwunderten Blicke, gönnte mir aber nur ein knappes Lächeln über die Stuhlreihen hinweg.
Ich ließ mir von Marc die Namen und Funktionen einiger Anwesender nennen: Würdenträger, Repräsentanten und Leute, um die man bei solchen Veranstaltungen nicht herumkam. In der ersten Reihe, links vom Mittelgang, saßen die Butenschöns, rechts der Oberbürgermeister neben Baden-Württembergs Wissenschaftsminister. Vertreter mehrerer Max-Planck-Institute waren angereist, der halbe Gemeinderat war da, und natürlich durften auch die hiesigen Milliardäre nicht fehlen, die bei jeder Veranstaltung in die Kameras grinsten, weil sie immer und überall ein paar Mäzenateneuros springen ließen.
Apropos Kameras: Gleich zwei Fernsehteams hatten sich in die Aula bemüht, der SWR und ein Lokalsender, um das Publikum und die Honoratioren von beiden Seiten unter Beschuss zu nehmen. Irgendwie hatten sie es geschafft, ihre Gerätschaften in den engen Bankreihen aufzubauen, und zwar ganz vorne, wo sich das Gestühl nach innen neigte, bis es am kanzelähnlichen Rednerpult endete. Im freien Halbrund davor wartete ein riesiger Flügel auf seinen Einsatz, ein Notenpult und ein Stuhl standen ebenfalls herum.
Endlich ging es los. Zwei Musiker zogen unter dem Beifall des Publikum ein wie Pallas Athene in das ländlichschöne Heidelberg. Diese Assoziation kam natürlich nicht von ungefähr, sondern plumpste sozusagen von der Historienmalerei an der Stirnwand direkt in den Mittelgang der Alten Aula. Athene in der Fußgängerzone, darauf musste man erst einmal kommen. Die Cellistin piekste ihren Stachel in die Holzdielen, der Pianist rückte seinen Stuhl zurecht. Dickflockige Musik schwebte durch den Raum. Mir entfuhr ein Gähnen, was Dörte Malewski von der anderen Seite des Saals mit einem tadelnden Blick quittierte.
Dann war es vorbei, und der Rektor der Universität, Amtskette um den Hals, schritt im verhallenden Applaus zum Rednerpult. Seine Ansprache stellte er unter das Motto »Dem lebendigen Geist«, wie es gusseisern über dem Portal der Neuen Uni zu lesen war. Von diesem Satz leitete er alles ab, die Begrüßung, den Anlass, die Freude und die Ehre, einmal geschüttelt und gerührt das Ganze, und jeder war zufrieden. Covets Stift fuhr ohne Hast über einen Notizblock. Abgang des Rektors, Übergabe des Staffelholzes an den Oberbürgermeister. Lieber Professor Butenschön, jammerte der, es bricht mir das Herz, dass Ihr Jubelfest im Schlagzeilengewitter um die wildeste Hure völlig unterging, und ich Sünderlein habe es zu verantworten. Weshalb ich demissioniere, hier und jetzt. Okay, er sagte etwas komplett anderes, unser Stadtvater, aber meine Gedanken waren längst abgeschweift, zu Agata, den Albanern und zu Evelyn Deininger. Was Knödelchen wohl gerade tat? Sich erholen, mit ihrem Mann einen Spaziergang durch
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