Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Butenschön

Butenschön

Titel: Butenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbisweiler
Vom Netzwerk:
er sie doch voll unterstützen. Oder sind Sie immer noch der Meinung, außerhalb der Professorenschaft habe niemand das Recht auf universitäre Mitbestimmung? So wie damals?«
    Na, nun wurde die gute Frau Butenschön aber zickig! Sie fauchte und zischte, dass es ein Vergnügen war, und Dörte Malewski hielt rechtschaffen dagegen. Hätte mich nicht gewundert, wenn sich die beiden gleich an die Gurgel gegangen wären. Der Greis saß bei ihnen, ein zusammengesunkenes Häuflein Elend, das Gesicht wächsern. Unsere Blicke trafen sich. Wie sich Hände treffen, die geschüttelt werden wollen. Und da: Täuschte ich mich, oder hellten sich seine Züge tatsächlich ein wenig auf? Er erkannte mich, ganz bestimmt. Etwas Flehendes lag in seinem Blick.
    Erst zögerte ich noch. Aber dann, als Frau Butenschön ihren Urenkel mit dem Rollstuhl vorausschickte, um sich dem Disput mit der Malewski in Ruhe widmen zu können, schritt ich zur Tat. Ein Klaps auf Covets Schulter: »Halt mir den Rücken frei! Ich entführe Butenschön.«
    »Du machst was?«
    »Ich entführe ihn. Kümmere du dich um den Jungen und wer mir sonst noch hinterher will.« Mitten unter all den Leuten drängte ich den Langhaarigen sanft beiseite, sagte ihm, er dürfe seine Uroma in dieser Situation nicht allein lassen; von der anderen Seite nahm ihn Covet in Beschlag, um ihn in seiner Eigenschaft als Journalist der Neckar-Nachrichten mit Fragen zu bombardieren, und schon hatte ich den Rollstuhl für mich. Ich bugsierte ihn Richtung Garderobe, vorbei an Mänteln und Jacken, links um eine Ecke   –   wir waren außer Sicht. Jetzt der Aufzug: Ich schob Butenschön hinein und drückte die oberste der fünf Tasten. Im Dachgeschoss, auf Höhe der gesperrten Empore, würde uns niemand vermuten. Mit einem Seufzer fuhr der Lift an. Oben vergewisserte ich mich, dass die Etage menschenleer war. Anschließend legte ich meinen Geldbeutel auf die Schwelle.
    Butenschön hatte die ganze Zeit über kein Wort gesprochen. Auch jetzt, da sich die Tür bis auf einen schmalen Spalt schloss, blieb er stumm. Der Aufzug lag so abseits, dass der Lärm aus dem Stock unter uns nur als dumpfes Gemurmel zu hören war. Ich drückte mich an dem Sitzenden vorbei und lehnte mich mit verschränkten Armen gegen die Rückwand.
    »Hallo, Herr Butenschön«, grinste ich. »Wie geht es Ihnen?«

     

     

     

     

    Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012

30

    Wie geht es Ihnen, Herr Butenschön?
    Bewegungslos saß der alte Mann da und musterte mich. Unmöglich zu sagen, mit welchem Ausdruck seine hinter dicken Brillengläsern verborgenen Augen auf mir ruhten. Angst war es jedenfalls nicht. Vielleicht hat man keine Angst mehr, wenn man 100 ist und mit dem Tod per Du.
    Ich wartete. An Fragen, die mir auf der Zunge lagen, herrschte kein Mangel, umso mehr an Zeit, sie Butenschön zu stellen. Nicht lange, und sie würden uns entdecken in unserem Fahrstuhlversteck. Aber wenn ich den Alten mit meiner Wissbegier überfiel, blieb sein Mund womöglich für immer verschlossen. Lieber abwarten, auf die Atmosphäre vertrauen, lächeln. Ihn reden lassen. Irgendwann musste er es ja tun!
    Das Erste, zu was er sich entschloss: Er hüstelte trocken. Danach fummelte er so lange an seiner Anzugjacke herum, bis er endlich ein Taschentuch gefunden hatte, mit dem er sich den Mund abputzte. Dabei zitterten seine Finger. Die Haut an Händen und Gesicht war von Altersflecken übersät, auch die Stirn und jener Teil des Kopfes, den das zurückweichende Haar freigegeben hatte. Blass sah er aus, kein Wunder. Auf das ganze Brimborium zu seinem Geburtstag hätte er am liebsten verzichtet, aber nein, es musste gefeiert werden, schon gestern, bis sein Magen streikte. Und jetzt das! Ein Festakt, von dem man noch lange sprechen würde, der Thema in den Nachrichten, in allen Zeitungen und sogar im Fernsehen sein würde.
    »Sie waren da«, sagte er mit seiner brüchigen Stimme, der die tiefen Frequenzen fehlten. Der Versuch eines Lächelns spielte um seine dünnen Lippen. »Sie waren da   …   gestern, meine ich. Und Sie haben mir …« Er verstummte.
    »Ich bin Ihnen ein bisschen zur Hand gegangen«, nickte ich. »Auftrag Ihrer Frau. Außerdem wusste ich, wo der Eimer steht. Fühlen Sie sich wieder besser?«
    Eine Kopfbewegung, unbestimmt.
    »Vielleicht sollten Sie in den nächsten zehn Jahren auf Bernsteingold verzichten, Herr Butenschön.«
    Er lachte, und mit dem Lachen schien das Leben in seinen

Weitere Kostenlose Bücher