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Butenschön

Butenschön

Titel: Butenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbisweiler
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Dossenheim machen, die Enttäuschung von gestern verdauen? Oder arbeitete sie auch heute, am Sonntag, an ihrer Promotion? Anschließend stellte ich mir vor, wie ein Molotowcocktail durch eines der Aulafenster platzte und im geöffneten Flügel landete. Was ein Ding der Unmöglichkeit war, denn vor den Fenstern war der Sonnenschutz herabgelassen. Auf dass dem universitären Geist das Lebendige nicht zu nahe kam.
    Neben mir fingerte Susanne auf ihrem Handy herum. Sprach nicht gerade für ein stabiles Nervenkostüm, wenn sie jetzt noch eine SMS verschickte. Ich suchte Gärtner unter den Zuhörern und erspähte ihn in einer der hinteren Reihen, die Hände zu pflichtschuldigem Beifall hebend. Seine Herzensdame lächelte maliziös und beugte sich zu ihm hinüber, um ihm etwas ins Ohr zu flüstern. Oder um es anzuknabbern, das traute ich ihr glatt zu.
    Nun waren die Musiker wieder an der Reihe und präsentierten ein Stück, das bestimmt doppelt so alt war wie der Jubilar. Ich versuchte einen Blick auf Butenschön zu erhaschen, doch er saß zu weit entfernt. Lediglich einen Teil seines Hinterkopfs und der großen Brille sah ich sowie einmal seine rechte Hand, die den Stock umklammerte, und auch das nur, weil unsere Bankreihen leicht anstiegen. Neben ihm bewegte sich der Kopf seiner Frau ruckartig hin und her, als wolle sie sich vergewissern, dass es auch die Richtigen waren, die in der Nähe ihres Mannes Platz genommen hatten. Wo war eigentlich Brouwer? Ich entdeckte ihn nicht. Seitlich in den Bänken saßen die Leute dicht gedrängt, auch die Stühle waren fast komplett belegt. Um weitere Personen unterzubringen, hätte man schon den Zugang zur Empore öffnen müssen. Dort oben befanden sich die besten Plätze, wusste ich von Covet, dem erfahrenen Konzertgänger.
    Der musikalische Zwischengang war verspeist, nun folgte als Hauptgericht die Laudatio auf den 100-Jährigen. Wie ein Storch stakste der Minister aus Stuttgart hoch zur Kanzel, um einen Papierstoß von erschreckender Dicke auf dem Rednerpult abzulegen. Übergehen wir seine Ansprache. Sie war lang und gescheit, Marc machte sich seufzend Notizen, Susanne rieb mit den Handflächen über ihre Oberschenkel. Ich starrte die gegenüberliegende Wand an. Sie war aus Holz. Ich war aus Holz. Meine Gedanken konnten nicht abschweifen; ich hatte keine. Die Welt rotierte um ihre eigene Achse, der Minister um seine eigenen Worte. Armer Albert Butenschön. Wie viele solcher Floskelgebirge hatte er in seinem Leben schon über sich einstürzen sehen?
    Ein Rippenstoß von rechts. »Nicht einschlafen, du Penner!«
    »Ich bin hellwach«, raunte ich zurück. »Konzentrier du dich lieber auf deinen Bericht.«
    »Für wen sind eigentlich die Rosen? Für dich?«
    »Bin ich das Geburtstagskind?«
    Covet schwieg und fuhr sich nachdenklich durch den Bart. Vorne schien die ministeriale Eloge allmählich den Heimathafen anzusteuern. Diese Formulierung drängte sich auf, weil der Laudator von Butenschön als Galionsfigur sprach, von einem Kapitän, der sein Schiff, also das der Forschung, auch bei schwerer See und hohem Wellengang   …   In einer Ausstellung holländischer Landschaftsmaler mit Bildern von Fregatten, die dem Unwetter davonsegelten, hätten die Worte des Ministers vielleicht Sinn gemacht. Zu der bunten Pseudoantike der Alten Aula aber passten sie wie die Malerfaust aufs Betrachterauge. Klarer Fall von Stilbruch.
    »Schwere See ist gut«, flüsterte ich Covet zu. »Was meint er damit? Butenschöns Rolle unter den Nazis?«
    »Möglich. Aber nicht sicher. Warum konkret werden, wenn es die Nebelkerze auch tut?«
    Ich nickte. Das Schiff war im Hafen, die Ladung gelöscht. Noch ein Häppchen Musik, dann nahte der Höhepunkt des Festmenüs. Dem Minister reichte man eine in Leder gebundene Mappe. Angekündigt wurde eine Auszeichnung der Landesregierung für ihren verdienstvollsten Wissenschaftler. Wie hatte Bärchen Deininger gelästert? Sie werden eine neue erfinden müssen, weil Butenschön schon alle besitzt   …   Der Greis erhob sich. Hälse wurden gereckt.
    Neben mir hörte ich Susanne tief durchatmen. Entschlossen drückte sie einen Knopf ihres Handys, dann steckte sie es ein und griff nach den Rosen. Vorne wackelte Butenschön dem Laudator entgegen. Der Minister klappte die Ledermappe auseinander, wandte sich, nun ohne Mikrofonverstärkung, da im offenen Halbrund stehend, dem Publikum zu: »Hiermit verleiht das Land Baden-Württemberg …«
    Er brach ab. Schon wieder Musik,

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