Butenschön
überqueren können.«
»Interessante Art der Gesprächsführung«, murmelte Brouwer und tupfte sich die Lippen an einer Serviette ab. Dabei hatte er noch nicht einmal an seinem Glas genippt.
Ich kramte eine meiner Karten hervor und reichte sie ihm. Christine hatte sie mir zur Feier unseres Umzugs geschenkt, mit der neuen Adresse und optimiertem Layout, wie sie sagte. Hier ein bisschen Farbe, dort eine besondere Schriftart. Ich fand die Karten scheußlich, und auch Dr. Brouwer schaute eher angewidert.
»Private Ermittlungen«, las er. »Wussten Sie das, Prof. Gärtner?«
»Frau Deininger deutete so etwas an.«
Der Anwalt hielt die Karte zwischen Daumen und Zeigefinger und betrachtete sie eingehend. Mein Gott, es standen bloß mein Name und meine Adresse drauf. Keine Bildchen! Dann nahm der Parfümgeruch wieder zu, und die Bedienung brachte meinen Kaffee sowie den Herren ihr Mittagsmahl. Gärtner hatte tatsächlich Schnecken gewählt, Brouwer hielt sich lieber an einen Salat. Klar, sitzende Tätigkeit und die Last der Mandate den ganzen Tag!
»Sie auch etwas zu essen?«, wurde ich gefragt.
»Mais oui: vous!«, wäre die in jeder Beziehung korrekte Antwort gewesen, aber ich kann ja kein Französisch. Also nichts, merci.
»Gut«, sagte Gärtner, sobald Mademoiselle gegangen war, »meinetwegen können wir offen reden. Wenn ich mich richtig erinnere, hat sich Evelyn, also Frau Deininger, gegen Ihre Ermittlungen zunächst gesträubt, aber seis drum. Einverstanden?«
Brouwer zuckte die Achseln, legte die Karte beiseite und begann wortlos, seinen Salat kleinzuschnippeln.
»Um eines klarzustellen, Herr Koller: Ich habe Rechtsanwalt Brouwer nicht gefragt, ob sein Mandant irgendetwas mit dem Brand zu tun hat. Das ist nämlich in der Tat eine lächerliche Vorstellung. Mag Herr Deininger in seiner Naivität solchen Ideen nachhängen; mit der Realität haben sie nichts zu tun.« Während Gärtner sprach, pulte er die erste Schnecke aus ihrem Haus. »Mein Treffen mit Dr. Brouwer diente einem ganz anderen Zweck. Ich wollte ihn beziehungsweise das Ehepaar Butenschön bitten, meiner Doktorandin eine Art Motivationshilfe zu geben. In Form eines Briefes, der sie zur Fortführung ihrer Arbeit ermuntert, trotz der prekären Umstände.«
»Wie bitte? Seit wann braucht Frau Deininger eine Ermunterung? Sie ist doch fest entschlossen, ihre Promotion zu Ende zu bringen, und zwar so rasch wie möglich.«
»Natürlich lässt sie sich nichts anmerken«, erwiderte Gärtner kauend. »Trotzdem ist sie erheblich verunsichert. Jeder wäre das in dieser Situation. Da kann sie sich noch so oft sagen, dass der Anschlag nicht ihr und ihrer Forschung galt.«
»Und was soll dann drin stehen in dem Brief?«
»So etwas wie ein Appell, sich nicht einschüchtern zu lassen, sich auf die wissenschaftliche Arbeit zu konzentrieren. Wenn Evelyn noch einmal Schwarz auf Weiß hat, dass Professor Butenschön ihr Vorhaben persönlich unterstützt, sollte ihr das den Rückhalt geben, den sie in ihrer aktuellen Lage braucht.«
»Es soll also nicht drin stehen, dass die Butenschöns jede Verantwortung für den Anschlag zurückweisen?«
»Blödsinn!« Das war der Anwalt. Etwas Grünes steckte zwischen seinen Vorderzähnen. »Für eine solche Aussage würde sich der Professor niemals hergeben. Eine Rechtfertigung ohne jeden Anlass – albern!«
»Und? Wird Frau Deininger diesen Brief bekommen?«
»Das liegt im Ermessen meiner Mandanten. Im Moment sehe ich nichts, was dagegen spräche, aber ich will nicht vorgreifen.«
»Wie stehen die Butenschöns denn grundsätzlich zu dem Dissertationsprojekt?«
Brouwers Blick nach zu urteilen, hatte ich gerade eine sagenhaft dämliche Frage gestellt. »Wie darf ich das verstehen?«, gab er zurück.
»Immerhin ist Professor Butenschöns Lebensleistung nicht unumstritten.«
Der Anwalt kaute bedächtig. Wie ein Schaf, schoss es mir durch den Kopf, wie ein Grünzeug futterndes Wollschaf. »Ich bin ja bloß Jurist«, sagte er, »kein Historiker. Aber gehört es nicht zu den Wesenszügen der Geisteswissenschaften, dass ihre Erkenntnisse niemals endgültig sind? Dass es immer widerstreitende Meinungen gibt?«
»Das haben Sie schön gesagt. Im Fall von Professor Butenschön behauptet eine dieser widerstreitenden Meinungen allerdings, dass er sich im Dritten Reich moralisch angreifbar gemacht hat. Wäre doch sehr unangenehm, wenn Frau Deininger genau diese These aufgreifen und am Ende sogar mit neuen Fakten untermauern
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